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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat
Autoren: John Grisham
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Zulassung zu ersparen.«
    »Es geht doch nichts über ein bißchen Druck, Mordecai«, sagte ich ein bißchen zu bitter.
    Aber er hatte recht. Es war meine Beerdigung, und so war es nur recht und billig, dass ich es war, der die grundlegenden Entscheidungen traf. Ich hatte die Akte an mich genommen - und das war nicht nur dumm, sondern auch moralisch und rechtlich falsch gewesen.
    Mordecai Green wäre schwer enttäuscht gewesen, wenn ich plötzlich kalte Füße bekommen hätte. Er hatte sein Leben der Aufgabe gewidmet, bemitleidenswerten Menschen zu helfen, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Er fühlte sich den Obdachlosen und Hoffnungslosen verbunden, denen, die nur wenig bekamen und nur die grundlegenden Dinge des Lebens wollten: eine Mahlzeit, ein trockenes Bett, eine anständig bezahlte Arbeit, eine kleine, erschwingliche Wohnung. Es geschah nicht oft, dass man die Probleme eines Mandanten so unmittelbar zu den Machenschaften großer Unternehmen in Beziehung setzen konnte.
    Geld bedeutete Mordecai nichts. Da sich eine große Schadenersatzsumme wenig oder gar nicht auf sein Leben auswirken würde und die Mandanten, wie er gesagt hatte, entweder tot oder unbekannt oder im Gefängnis waren, hätte er, wäre ich nicht gewesen, niemals einen gerichtlichen Vergleich in Erwägung gezogen. Mordecai wollte einen Prozeß, ein riesiges, lautes Spektakel mit Scheinwerfern und Kameras und vielen Zeitungsartikeln, und im Mittelpunkt würde nicht er selbst, sondern das Elend seiner Mitmenschen stehen. In Prozessen geht es nicht immer um individuelle Verfehlungen; manchmal ist ein Prozess auch eine Tribüne, von der aus man Reden an ein größeres Publikum hält.
    Meine Anwesenheit machte alles nur komplizierter. Mein zartes, bleiches Gesicht konnte hinter Gittern landen. Meine Zulassung als Anwalt und damit mein Lebensunterhalt standen auf dem Spiel.
    »Ich bin dabei, Mordecai.«
    »Das hatte ich nicht anders erwartet.«
    »Mal angenommen, wir überreden sie, eine Summe zu zahlen, mit der wir leben können, die Anzeige wird zurückgezogen, es ist alles geklärt bis auf die Frage meiner Zulassung. Und wenn ich mich mit einer zeitweiligen Aberkennung einverstanden erkläre? Was passiert dann?«
    »Erstens werden Sie dann die Demütigung eines Disziplinarverfahrens über sich ergehen lassen.«
    »Was, so unangenehm es auch klingt, nicht das Ende der Welt wäre«, sagte ich und versuchte, stark und unerschütterlich zu klingen. In Wirklichkeit machte mir die Vorstellung schreckliche Angst. Warner, meine Eltern, meine Freunde, meine ehemaligen Kommilitonen, Claire, all die guten Leute bei Drake & Sweeney - vor meinem geistigen Auge sah ich ihre Gesichter in dem Augenblick, in dem sie die Nachricht erhielten.
    »Zweitens können Sie für die Zeit der zeitweiligen Aberkennung nicht als Anwalt tätig sein.«
    »Verliere ich in diesem Fall meine Stelle?«
    »Natürlich nicht.«
    »Was werde ich dann also tun?«
    »Tja, Sie behalten dieses Büro. Sie machen Beratungen beim CCNV, im Samaritan House, in der Redeemer Mission und den anderen Häusern, die Sie bereits kennen.
    Sie bleiben Teilhaber des Rechtsberatungsbüros. Sie sind dann eben kein Anwalt mehr, sondern Sozialarbeiter.«
    »Dann bleibt also alles beim alten?«
    »So ziemlich. Sehen Sie sich Sofia an. Sie hat mehr Mandanten als wir anderen zusammengenommen, und die halbe Stadt denkt, sie sei Rechtsanwältin. Wenn ein Fall vor Gericht geht, übernehme ich ihn. Und genauso werden wir es bei Ihnen machen.«
    Die Regeln des Rechts der Straße wurden von denen geschrieben, die dieses Recht praktizierten.
    »Und wenn man mich erwischt?«
    »Keiner kümmert sich darum. Die Grenze zwischen Sozialarbeit und Sozialrecht ist nicht immer ganz klar.«
    »Zwei Jahre sind eine lange Zeit.«
    »Einerseits ja, andererseits nein. Und wir müssen ja nicht mit einer zweijährigen Aberkennung einverstanden sein.«
    »Ich denke, da gibt es keinen Verhandlungsspielraum.«
    »Morgen wird es ihn geben, in jedem Punkt. Aber Sie müssen ein bißchen nachforschen. Suchen Sie ähnliche Fälle, wenn es welche gibt. Finden Sie heraus, wie andere Gerichte in ähnlichen Fällen entschieden haben.«
    »Sie glauben, so etwas ist schon einmal vorgekommen?«
    »Vielleicht. In Amerika gibt es inzwischen eine Million Anwälte. Und Anwälte waren schon immer sehr einfallsreich, wenn es darum ging, Mist zu bauen.«
    Er hatte noch eine Verabredung und war bereits spät dran. Ich dankte ihm, und wir gingen hinaus und
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