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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat
Autoren: John Grisham
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schlössen ab.
    Ich fuhr zur juristischen Fakultät der Georgetown University in der Nähe des Capitol Hill. Die Bibliothek war bis Mitternacht geöffnet. Es war ein idealer Ort, um sich zu verstecken und über das Leben eines ungeratenen Anwalts nachzudenken.

    SIEBENUNDDREISSIG

    DeOrios Gerichtssaal befand sich in der ersten Etage des Carl Moultrie Buildings, und auf dem Weg dorthin kamen wir an Richter Kisners Gerichtssaal vorbei, in dem mein Fall von schwerem Diebstahl auf den nächsten Schritt im mühseligen Prozess der Wahrheitsfindung wartete. Die Korridore waren voller geschäftig hin und her eilender Anwälte - Strafverteidiger und arme Schlucker, die im Kabelfernsehen oder auf den Bänken in Bushaltestellen warben. Sie berieten sich mit ihren Mandanten, die fast allesamt aussahen, als wären sie schuldig. Ich konnte nicht glauben, dass mein Name zwischen den ihren auf einer Prozessliste stand.
    Der Zeitpunkt unseres Eintreffens erschien mir wichtig. Mordecai fand das eher albern. Wir hatten nicht vor, zu spät zu kommen - DeOrio war ein Pünktlichkeitsfanatiker -, doch ich wollte um keinen Preis zehn Minuten zu früh dort sein und mich den Blicken und dem Geflüster aussetzen, und schon gar nicht dem vor Prozeßbeginn üblichen banalen Geplauder von Donald Rafter und Arthur Jacobs und den Leuten, die sie möglicherweise mitgebracht hatten. Und ich wollte nicht mit Tillman Gantry in einem Raum sein, es sei denn, der Richter war ebenfalls anwesend.
    Ich wollte mich auf die Geschworenenbank setzen, mir alles anhören und von allen in Ruhe gelassen werden. Um zwei Minuten vor eins traten wir ein.
    DeOrios Gerichtsgehilfin gab Kopien der Verhandlungspunkte aus und wies uns die Plätze an: Ich setzte mich allein und zufrieden auf die Geschworenenbank, und Mor-decai nahm daneben, am Tisch der Klägerpartei, Platz.
    Dort saß bereits Wilma Phelan, die Treuhänderin, die ein gelangweiltes Gesicht machte, weil sie über nichts, was hier verhandelt werden sollte, im Bilde war.
    Der Tisch der beklagten Partei war ein anschauliches Beispiel für eine strategische Anordnung. Die Anwälte von Drake & Sweeney saßen am einen Ende, Tillman Gantry und seine beiden Anwälte am anderen, und dazwischen, als Puffer sozusagen, hatten zwei Vorstandstypen von River-Oaks und ihre drei Anwälte Stellung bezogen. Auf der Liste der Verhandlungspunkte waren auch die Namen aller Anwesenden aufgeführt. Für die Verteidigung zählte ich dreizehn.
    Da Gantry ein ehemaliger Zuhälter war, hatte ich angenommen, er werde viele Ringe an den Fingern und im Ohr haben und auffallend gekleidet sein, doch er trug einen gut sitzenden dunkelblauen Anzug, und sein Erscheinungsbild war besser als das seiner Anwälte. Er war in Unterlagen vertieft und beachtete seine Umgebung nicht.
    Ich sah Arthur, Rafter und Nathan Malamud. Und Barry Nuzzo. Ich war fest entschlossen, mich nicht verblüffen zu lassen, doch mit Barrys Anwesenheit hatte ich nicht gerechnet. Indem die Kanzlei zu dieser Verhandlung drei ehemalige Geiseln entsandte, ließ sie mir eine subtile Nachricht zukommen: Keiner der anderen Anwälte, die in Misters Gewalt gewesen waren, hatte durchgedreht. Was war mit mir? Warum war ich ein Weichei?
    Der fünfte in ihrer Gruppe war L. James Suber, ein Anwalt ihrer Versicherungsgesellschaft. Drake & Sweeney war gegen Verletzungen der Sorgfaltspflicht selbstverständlich hoch versichert, doch ich bezweifelte, dass dieser Fall gedeckt war. In der Police waren vorsätzliche Handlungen - wie der Diebstahl durch einen Mitarbeiter oder die mutwillige Verletzung der standesrechtlichen Richtlinien - ausdrücklich ausgeschlossen. Fahrlässigkeit war gedeckt, Vorsätzlichkeit nicht. Braden Chance hatte nicht einfach ein Gesetz, eine Klausel oder eine vorgeschriebene Verfahrensweise übersehen, sondern die wohlerwogene Entscheidung getroffen, die Zwangsräumung vornehmen zu lassen, obwohl er darüber informiert gewesen war, dass die Bewohner juristisch betrachtet Mieter waren.
    Auf einem Nebenkriegsschauplatz, vor unseren Blicken verborgen, würde es noch einen bösen Kampf zwischen Drake & Sweeney und der Versicherungsgesellschaft geben. Sollten sie kämpfen.
    Um Punkt ein Uhr erschien DeOrio und ging zu seinem Platz. »Guten Tag«, sagte er barsch und setzte sich. Er trug eine Robe, und das erschien mir eigenartig, denn es handelte sich nicht um ein formelles Gerichtsverfahren, sondern um eine inoffizielle Vergleichsverhandlung.
    Er stellte sein Mikrofon ein
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