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Der Vampir, den ich liebte

Der Vampir, den ich liebte

Titel: Der Vampir, den ich liebte
Autoren: Beth Fantaskey
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Spinnennetz. Während wir immer tiefer in das Gebäude vordrangen,
wurden die Biegungen enger, die Flure schmaler und die Treppen steiler.
Irgendwann merkte ich entsetzt, dass ich mich vollkommen verirrt hatte. Dass
ich Lucius' Gnade ausgeliefert war. Wenn die Dinge nicht so liefen, wie ich es
hoffte, würde ich niemals entkommen. Man würde nicht einmal meinen Leichnam
finden.
    Lucius
blieb so abrupt stehen, dass ich in ihn hineinlief. Er öffnete ein Portal in
der Wand, das ich nicht einmal bemerkt
hatte. Er drehte den Knauf, versetzte der Tür einen Stoß und trat zurück. »Nach
dir.«
    Ich
musterte ihn wachsam. Seine Augen waren nicht länger pechschwarz, aber sie
waren immer noch kalt. Ich ging an ihm vorbei. »Danke.«
    Während
Lucius die Tür hinter sich zuzog, schaute ich mich zuerst in dem Raum um, dann
sah ich Lucius an. »Lucius ... das ist wunderschön.«
    Im Herzen
des steinernen Labyrinths befand sich ein kostbar eingerichtetes Arbeitszimmer,
eine wahrhaft prachtvolle Version der Kulisse, die Lucius in unserer Garage
zusammengeschustert hatte. Ein riesiger, antiker Perserteppich bedeckte den
steinernen Boden und die Wände waren gesäumt von überquellenden Bücherregalen – genau wie ich es bei Lucius erwartet hätte. Tiefe Ledersofas standen im Raum,
rissig und abgenutzt, Zeugnis der zahllosen Stunden, die er zweifellos damit
verbracht hatte, über den Werken der Brontës, von Shakespeare und Melville zu
brüten. Zwischen den Büchern eingekeilt klemmte eine einzelne Siegertrophäe,
ein Basketballspieler, der gerade einen Ball Richtung Korb warf. Lucius hatte
sie im Dezember bei einem Korbwurfwettbewerb gewonnen. Ich drehte mich lächelnd
zu ihm um, ermutigt durch die Tatsache, dass er einen kleinen Teil seines
Lebens als amerikanischer Teenager aufbewahrt hatte. »Du hast deine Trophäe
mit nach Hause genommen.«
    Lucius
lächelte ebenfalls, doch sein Lächeln triefte vor Sarkasmus. »Das? Das hat
Dorin gerettet. Ich behalte es, um mich daran zu erinnern, mich nie wieder wie
ein Idiot zu benehmen – meine Zeit nie mehr mit lächerlichen Spielen zu
vergeuden, während ernste Geschäfte auf mich warten.«
    Ich glaubte
ihm kein Wort, aber ich ging nicht näher darauf ein.
    Lucius
legte seinen Mantel ab, hob ein Holzscheit vom Boden und warf es in den Kamin.
Funken stoben auf und das Feuer
erwachte zum Leben. Er hatte den Pflock wieder in den Gürtel gesteckt. Als er
sich dem Kamin zuwandte, hätte ich ihn mir schnappen und in die Flammen werfen
können ...
    »Bilde dir
gar nicht erst ein, dass du schnell genug wärst«, bemerkte Lucius, ohne sich
auch nur umzudrehen, und stieß mit dem Stiefel gegen die Holzscheite, um das
Feuer weiter anzufachen.
    »Ich wäre
nie auf die Idee gekommen«, sagte ich.
    Mit einem
wissenden Lächeln auf dem Gesicht drehte Lucius sich um. »Natürlich nicht.« Er
holte den Pflock wieder hervor, strich mit der Hand darüber und testete mit einem
Finger die Spitze.
    »Lucius – du denkst doch nicht wirklich daran, mich heute Nacht zu vernichten, oder?«
    Statt zu
antworten, kam Lucius auf mich zu, fasste mich am Handgelenk und zog mich in
die Mitte des Raums, wo das
komplizierte Muster des Teppichs in einem bleichen, abgetretenen Kreis
zusammenlief. »Schau hin«, befahl er, und seine Stimme war plötzlich sehr rau.
Der Griff, mit dem er meinen Arm festhielt, war unangenehm fest.
    Ich tat wie
geheißen und sah einen dunklen Fleck, der sich über den Fasern ausbreitete. Blut
... es sah nicht einmal so aus, als hätte sich jemand die Mühe gemacht, es
wegzuwischen. »Ist das ...?«
    »Vasile.
Das ist der Ort, an dem ich es getan habe. Das ist der Ort, an dem ich
vernichte.«
    Ich riss
meinen Blick von dem Fleck los und sah Lucius ins Gesicht. Seine Augen waren
schmal – und wieder pechschwarz. Wir waren einander so nah, dass ich tief in
diese Schwärze seiner Augen schauen konnte. So tief, dass ich das Gefühl
hatte, seine Gedanken lesen zu können, ganz so, wie es echte Vampire angeblich
konnten ... und die Gedanken, die durch Lucius' Gehirn strömten, waren so
ungeheuer düster, dass ich zurückzuckte. In seinen Augen konnte ich meine
Vernichtung lesen.
    »Lucius, tu
es nicht«, wollte ich ihn bitten, aber im Bruchteil einer Sekunde war er hinter
mir, hielt mich fest, sodass ich mich kaum noch rühren konnte, und setzte mir
den Pflock auf die Brust. Die Spitze bohrte sich durch die rote Seide meines
Kleids, tief in meine Haut. Ich hielt den Atem an, aus Angst, eine
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