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Der Überlebende: Roman (German Edition)

Der Überlebende: Roman (German Edition)

Titel: Der Überlebende: Roman (German Edition)
Autoren: Ernst-Wilhelm Händler
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Als du starbst, überkam mich diese Wut zu verstehen
    Das neue Werk in Leipzig war ein Fanal: die größte Investition von D’Wolf in eine deutsche Fertigung seit Jahren!
    Die POWERWOLF W-8 2000 sollte die eiserne Faust unter den speicherprogrammierbaren Steuerungen werden! Die Kapazität des Programmspeichers acht Megabyte, die Zykluszeit betrug vierzehntausend Anweisungen pro Millisekunde, die Anzahl der digitalen Ein- und Ausgänge zweitausendachtundvierzig, wir übten das Hersagen der technischen Spezifikationen wie einen Schnellsprechvers.
    »Wer stellt jetzt das Manual fertig?!«
    Peter stürmte auf mich zu und warf den geöffneten Brief neben mich auf das Sofa. Wir waren allein in der Lobby des Bürogebäudes, die Empfangsassistentinnen begrüßten die zur Einweihungsfeier geladenen Gäste am Werkseingang. Geschwächt von der Wut, der er sich hingab, ließ er sich in das Sofa gegenüber fallen und schlug sich mit der Hand gegen die Stirn.
    »Das wird Burgi zerstören!«
    Unglückswurm. Sein Kragen stand offen, die Krawatte hing weit herunter. Zwischen seinen nassen langen Haaren lugten die Ohren hervor, ein Regenschauer hatte das neue Werk flüchtig berührt. Peter kniff die Augen zu, das kam nicht vom Regen, er weinte.
    Ich sagte mit charmierender Stimme: »Ich musste sie entlassen.«
    Der Brief, über dem Peters Gesicht ununterbrochen Verzweiflungssignale abfeuerte, war ihr Entlassungsschreiben. Trotz wiederholter Ermahnung hatte sie nicht davon abgelassen, Aktennotizen an unser Hauptquartier in Berlin zu schicken, die ich nicht autorisiert hatte.
    Wir lagen mit dem Werk voll im Plan, der Produktionsstart würde unmittelbar nach der Einweihung stattfinden, kein Fake. Nur die Anwendersoftware war noch nicht so weit. Das war keine Tragödie, die mit den Prototypen der neuen Steuerung ausgelieferten Testversionen wiesen keine Systemfehler auf. Burgi – Burglinde – hatte die Situation unnötig dramatisch dargestellt, ich wurde mit E-Mails und Anrufen aus Berlin bombardiert, alle glaubten, ich wolle den Produktionsstart verschieben und hätte das Softwarethema nur vorgeschoben, um von Anlaufschwierigkeiten bei der Produktion abzulenken.
    Sie ist eine gute Forschungs- und Entwicklungsingenieurin, aber die Verantwortung für das Manual überforderte sie. Es ging ihr nicht darum, das Projekt zu sabotieren, sie wollte sich über Gebühr absichern. Als ich sie wegen der Aktennotizen zur Rede stellte, verteidigte sie sich, sie habe sie vorher Peter gezeigt und er habe keine Einwendungen gehabt.
    Ich erklärte Peter, Burgi habe das Projekt gefährdet. Seither wurde jeder Schritt, den wir machten, von den Controllern in Berlin hinterfragt. Kaum hatte ich das Wort wir gesagt, sprang Peter auf und packte mich an den Schultern.
    »Sag nicht wir ! – Nie mehr wieder!«
    Das Bemerkenswerteste an Burgi ist ihr Mund: Die Unterlippe zögernd vorgewölbt, die Oberlippe leicht aufgeworfen, der Ausdruck stets zu gleichen Teilen unterwürfig und vertrotzt, sich in aller Unschuld eine Zumutung für den Betrachter ausdenkend.
    Ich ließ Peter gehen, ich rief ihm nach, er solle sich vor Beginn der Feier entspannen. Wir waren nicht mehr allein, das Fernsehen berichtete ausführlich über die Einweihung, als Werksleiter hatte ich zahlreiche Interview-Anfragen bekommen, die ich ausnahmslos an die mit der Pressearbeit betraute Assistentin weitergereicht hatte, sie betrat gerade mit einem Fernsehteam die Lobby. Peter gab keine Antwort, er hob nur, ohne sich umzudrehen, den rechten Arm. In diesem Moment schaltete ein Mitglied des Aufnahmeteams einen Scheinwerfer an, und Peters Hand warf einen übergroßen Schatten an die Wand neben der Kaffeebar. So hilflos Peter vorher gewesen war, so eindrucksvoll drohte mir jetzt seine riesige Hand.

    Maren, du weißt, Small talk ist für mich Overload –

    Ich hasse die nutzlos in sich selbst vergaffte Natur der menschlichen Beziehungen. Die Haare würden den Leuten zu Berge stehen, wenn sie wüssten, was ich anstellen muss, nur um mich mit ihnen über das Wetter oder über ihre Kinder zu unterhalten. Ich muss mich durch Berge graben und Täler aufschütten. Diese Einweihung bedeutete die größte anzunehmende Versammlung von Menschen auf dem Werksgelände. Der Stadtrat von Leipzig und die sächsische Landesregierung hatten sich nahezu komplett selbst auf die Liste gesetzt, wir hatten alle Lieferanten und jede Menge Kunden eingeladen. Die Politiker sprachen ein extremes Sächsisch, ich musste
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