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Der Überlebende: Roman (German Edition)

Der Überlebende: Roman (German Edition)

Titel: Der Überlebende: Roman (German Edition)
Autoren: Ernst-Wilhelm Händler
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der neuen Fabrik hatte mit mir zu tun. Alles ging mich an, jedes Werkzeug, jede Vorrichtung. Ich ging alles an.
    »Der Schöpfer ist der allein Existierende, alles andere Daseiende ist das Werk seines Willens und Wortes. Schöpfer bedeutet: Creator ex nihilo.«
    Nur D’Wolf kann einen Chief Compliance Officer vorweisen, der ordinierter Geistlicher ist. Obwohl Mitglied des Vorstands, hat Pfarrer Grenzfurtner kein festes Büro, jedes halbe Jahr zieht er an einen anderen Standort, zur Werkseinweihung kam er aus Tokio. Der CEO der HSBC, Stephen Green, ist ebenfalls ordinierter Geistlicher. Die beiden mögen sich nicht und gehen sich aus dem Weg. Ist das ein Wettstreit zwischen zwei Heiligen, wer heiliger ist? Oder glauben sich beide in Wirklichkeit nicht heilig genug und fürchten die Entlarvung durch den anderen?
    »Schöpfung, das bedeutet die Gegenüberstellung unserer und aller von Gott verschiedener Existenz mit dem Nichts, mit der Nicht-Existenz. Dass wir als seine Ebenbilder geschaffen sind, besagt, er hat uns dazu bestimmt, mit unserem Vorhandensein von seiner Wirklichkeit Zeugnis zu geben.«
    In meiner Erinnerung steht Pfarrer Grenzfurtner nackt neben dem Rednerpult, die Beine breit, den Oberkörper vorgebeugt, die Hände auf die Knie gestützt, er hat sehr kräftige Arme und Beine, zagend horcht er, was ihm sein Gott verkündet.
    »Kein Mensch kann Liebe einfordern. Wer außer Gott sollte dieses Recht haben?«
    Und die Kunden?
    »Die Bindung an Gott ist ein Befehl, der seine Rechtfertigung daraus bezieht, dass Gott der ist, den wir über alles lieben dürfen. An Gottes Wort gebunden sein heißt jedoch gleichermaßen, dass wir ihn, der dieses Wort zu uns spricht, über alles fürchten müssen.«
    Pfarrer Grenzfurtner schreitet auf die Versammelten zu, den linken Arm hinter dem Rücken angewinkelt, in der rechten Hand das Mikrophon, als ob er in ein Megaphon sprechen würde.

    Natürlich war er nicht nackt, Maren!

    »Dass wir Gott erkennen, ist sein und nicht unser Werk.«
    Die Gewissheit und die Klarheit, in der wir Gott erkennen, ist seine und nicht unsere. Wozu die Ebenbilder, warum wir, wenn Gott sich nur durch sich selbst erkennt?
    Pfarrer Grenzfurtner führt einen paganen Triumphtanz auf. Sein Gott braucht uns nicht! Nackt hüpft er auf dem linken Bein um das Rednerpult herum, das rechte Bein winkelt er an, die rechte Hand wirft er hinter den Kopf, mit der linken greift er sich in den Schritt.

    Natürlich tanzte er nicht, Maren! Es waren seine Gesten, die den Eindruck erzeugten.

    Während der Predigt hatte Sondra angefangen, sich Notizen zu machen. Als wir später miteinander sprachen, sah ich, sie trug einen Pencil protector in der Blusentasche, ein schmales Plastikfutteral, in dem ein roter, ein gelber und ein blauer Kugelschreiber steckten. Früher verwendeten Ingenieure und Buchhalter in amerikanischen Firmen Pencil protectors, damit ihre Kugelschreiber und Bleistifte keine Spuren auf ihren weißen Bürohemden hinterließen. Niemand benutzt sie heute noch.
    Sondra arbeitete als Research & Development Engineer im Entwicklungszentrum für Motion Control in Philadelphia. Ihr Feld war die Steuerung von Werkzeugmaschinen, sie sollte die Schnittstellen der neuen Steuerungen anpassen. Ich hatte Peter und den anderen Mitarbeitern eingeschärft, mit niemandem, aber wirklich mit niemandem über unser Roboterlabor zu sprechen.

    Das Nichts, von dem Pfarrer Grenzfurtner sprach, gibt es nicht, nur als Gedankenexperiment. Im Weltall findet sich durchschnittlich in jedem Kubikmeter ein Wasserstoffatom. Ein völlig atomfreier Raum ist von elektromagnetischen Feldern und der kosmischen Hintergrundstrahlung erfüllt, dem Restleuchten des Feuerballstadiums nach dem Urknall. Jeder Kubikzentimeter wird von circa vierhundert Photonen durchflutet, die Temperatur des Alls liegt etwa drei Grad über dem absoluten Nullpunkt.
    Man kann einen Raum gegen elektromagnetische Felder abschirmen, tiefere Temperaturen sind möglich. Im Bumerang-Nebel, fünftausend Lichtjahre entfernt im Sternbild Centaurus, gibt es einen Punkt, der zwei Grad kälter ist als die kosmische Hintergrundstrahlung, ein extrem rascher Gasverlust sorgt für den Kühleffekt. Im Labor können mit Hilfe von Magnetfeldern Atomkerne fast zum Stillstand gebracht werden. Neutrinos, die kaum mit der Materie wechselwirken, sind allerdings auch durch kilometerdicke Bleiplatten nicht aufzuhalten.
    Selbst ein perfektes Vakuum ist von Quantenfluktuationen erfüllt.
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