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Der Überlebende: Roman (German Edition)

Der Überlebende: Roman (German Edition)

Titel: Der Überlebende: Roman (German Edition)
Autoren: Ernst-Wilhelm Händler
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dass ich so viel später komme.
    Wann hatte Greta den Plan gefasst? Während sie auf mich wartete? Oder schon vorher? Wenn ich den ursprünglich gebuchten Flug genommen oder sie meine SMS erhalten hätte, wäre sie dann auch die Leiter zu der Krankabine hochgeklettert?
    Das Blau des Beckens vor mir blendete mich unerträglich. Ich sehnte mich zurück nach der Gräue. Sie hatte sich auf alles gelegt wie eine unverbindliche Welttrübnis, sie hatte alles abgemildert, und alles war weich gewesen.
    Niemand brauche sich mehr Sorgen um sie zu machen. Wenn sie etwas beschäftige und sie bekomme Signale, dass die anderen das nicht so interessiere wie sie selbst, schicke sie keine unerwünschten E-Mails mehr durch die Gegend, sie halte keine Vorträge mehr, sie sei nicht mehr ätzend zu ihrem Vorgesetzten, und sie habe nur noch technische Kataloge auf ihrem Schreibtisch. Sie habe probiert, an etwas anderes zu denken, das sei die falsche Methode gewesen. Stundenlang unbeweglich in der Badewanne zu sitzen sei ganz falsch gewesen. Die richtige Methode bestehe darin, sich woanders hinzubegeben.
    Aus dem Büro in einen Besprechungsraum, aus dem Hotelzimmer in die Lobby, im Flugzeug wenigstens auf den Gang zwischen den Sitzen, sie sei auch schon im Kino während des Films und im Theater während der Aufführung aufgestanden und auf die Straße gelaufen. Sofort lasse es nach, das Gefühl der Wichtigkeit dessen, an das sie gerade gedacht habe –
    Irgendwann habe ich wieder zu atmen begonnen.
    Niemand war Zeuge unserer Causerie. Der Wind rutschte darauf aus. Mit träger Sorge hörte ich Greta und mir selbst zu. Was war los? Was war das jetzt? So flüchtige Empfindungen konnte ich nicht in vernünftige Sätze übertragen. Meine Gedanken zerfielen. – Sie winkte mir zu! – Ich musste mich entscheiden! Zum letzten Mal hatte ich Boden unter den Füßen, danach würde es schwierig werden!
    Sie legte die Arme ganz eng an den Körper und neigte den Kopf nach vorn. Sie öffnete den Mund wie eine Schwimmerin, die beim Brustschwimmen den Kopf kurz über der Wasseroberfläche hat, um zu atmen. Die Adern an ihrem Hals traten hervor und die an ihrem Bizeps – ich sah es, als wäre ich neben ihr gestanden. Erst blickte sie geradeaus, dann nach unten, dann wieder geradeaus. Während sie sich, der Körper weiter kerzengerade, die Beine etwas auseinander, fallen ließ, zog sie die Arme nach vorn. In dem Augenblick, in dem sie waagerecht in der Luft lag, schien es, als ob sie Flügel hätte, aber sie hatte keine.
    Dann war ihre Haltung tadellos wie die eines Klippenspringers, der darauf sehen muss, mit den gestreckten Fingern, den gestreckten Händen, den gestreckten Armen, dem gestreckten Körper in einem Winkel von genau neunzig Grad auf die Wasseroberfläche zu treffen.
    Selbst wenn die weißen Helme das Wettkampfbecken mit Wasser gefüllt hätten, es wäre niemals tief genug gewesen.

Über Ernst-Wilhelm Händler
    Ernst-Wilhelm Händler, 1953 geboren, lebt in Regensburg und München. Er ist Autor der Romane »Welt aus Glas«, »Die Frau des Schriftstellers«, »Wenn wir sterben«, »Sturm«, »Fall« und »Kongreß« sowie des Erzählungsbandes »Stadt mit Häusern«. Für seine von der Kritik hochgelobten Romane erhielt Händler den Erik-Reger-Preis, den Preis der SWR-Bestenliste, den Kulturpreis der Stadt Regensburg und den Hans-Erich-Nossack-Preis.

    Weitere Informationen, auch zu E-Book-Ausgaben, finden Sie bei www.fischerverlage.de

Impressum
     
    Erschienen bei FISCHER E-Books
     
    © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2013
    Covergestaltung: buxdesign, München; Carla Nagel
     
    Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
    Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
    ISBN 978-3-10-402430-1

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