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Der Überlebende: Roman (German Edition)

Der Überlebende: Roman (German Edition)

Titel: Der Überlebende: Roman (German Edition)
Autoren: Ernst-Wilhelm Händler
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IST , WEIL DU ES HÖREN WOLLTEST ! DER WÜRFEL WAR NIE DA !
    DA IST NICHTS ! NICHTS !! NICHTS !!! NICHTS !!!!
    Ich wollte im Flugzeug arbeiten, aber ich konnte die Unterlagen jeweils nur sekundenlang aufschlagen. Die Kälte aus der zu scharf eingestellten Klimaanlage überkroch alle Gegenstände. Mit dem Sitz, mit dem Boden kam mein Körper nicht in Kontakt, er war ja durch Kleidung und Schuhe geschützt, aber die Ordner musste ich anfassen, dabei berührte ich mit den Unterarmen die Lehnen. Die Brille wurde zur Eisklammer auf meiner Nase. Meine Gelenke, meine Gliedmaßen wurden steif, nicht einmal zucken konnte ich mehr, mein Körper würde ein Eisblock werden.
    Es würde ein leichtes und völlig unblutiges Unterfangen darstellen, meinen Kopf in Scheiben zu schneiden. Ein letzter Moment der zappelig flatterhaften Gegenwart wäre konserviert, in ihm das Ganze der Vergangenheit, ein für alle Mal abgeschnitten von der Zukunft. Eine endgültige Version meiner sämtlichen Seelenunter- und Aufbauten und allen zugehörigen Schnitzwerks, nichts würde sich mehr zu anderen Formen aufranken. Welcher hochmögende Gedankenhimmel, der Gerechte und Ungerechte gleichermaßen beschützt, würde sich über den Bildern wölben? Wer oder was explizierte, interpretierte die verwindungssteifen Seelenskulpturen und -ornamente? Welcher stolz schwellende Hahnenkamm welches triumphierenden Beobachters würde sich zwischen sie und den entrückten Himmel schieben?
    Die Patentkonferenz in Los Angeles hatte unmittelbar vor der Einweihung des neuen Werks in Leipzig stattgefunden. Seither hatte ich von Greta nichts mehr gehört und gesehen. Ich vermutete, dass du mit ihr in Verbindung warst, Maren, aber zu deinem Begräbnis meldete sie sich nicht. Peter hatte Pfarrer Grenzfurtner von seiner Zeitreise berichtet. Der beschwor mich darauf, Greta zu schreiben.
    Die Diesigkeit tat meinen Augen nicht gut. Die schwarzen Wolken, aus denen ich gekommen war – ein infernalisches Gewitter hatte sich von Bogotá bis Medellín erstreckt oder das Flugzeug begleitet, ich hatte schon befürchtet, wir würden gar nicht in der Lage sein, in Medellín zu landen –, waren einer überall anwesenden Gräue gewichen. Zehn Schwimmbecken. Verbunden durch Wege und Rampen aus Beton, gesäumt von zu niedrigen Gefängnismauern. Wer sollte hier eingesperrt werden? Die Macchia oder die Menschen? Schlanke Lichtmasten mit trotzig großen Leuchten streckten sich gen Himmel, Stuhlbeine mit blauen Sitzschalen dehnten sich ridikül. Ein Mann musste auf die Schultern eines andern steigen und derjenige, der auf einem der Kampfrichterstühle Platz nehmen wollte, auf die Schultern des zweiten. Gestelle für Strahler wucherten wundersam, Sprungbretter, Anzeigetafeln, Parabol- und Teleskopantennen reckten sich kühn und träumten von berstenden Lüften. Keine Menschenseele, nur weiße Bauhelme. Waren da Menschen drunter, oder schwebten die Helme einfach so über dem Beton? Ich sah schlecht und empfand schlecht, der Flug mit Zwischenstopps hatte dreißig Stunden und drei Minuten gedauert. Nach Langstreckenflügen fühle ich mich immer besonders alt, und mein Leben ist ein zäher Brei.
    Ich versuchte, mir Greta zu vergegenwärtigen. Aber ich erinnerte mich nur noch an Einzelheiten, die sich nicht zu einem Ganzen fügten: an die blauen Adern auf der Rückseite ihrer Oberarme, die zu den Ellbogen hin immer blauer wurden. An die verbrannte rote Gesichtshaut: Als Kind wollte sie nie im Schatten bleiben, immer suchte sie die Sonne, auch später weigerte sie sich, Sonnenschutzmittel zu verwenden. An das Weiße in ihren Augen, das beständig glänzte. Es war, als ob ihre Augen aus Glas waren, ihr hoher, schmaler Mund schien aus einem harten, polierten Material geformt zu sein.
    Die mit Lippenstift gezeichneten Umrisse einer Bikinihose und eines Oberteils auf ihrem nackten Körper, als ich sie einmal als Zehnjährige ungewollt im Bad überraschte –
    Ich wusste nicht mehr, wie das Projekt hieß. Einfach Water Sports Complex? Für die südamerikanischen Spiele, Juegos Suramericanos. D’Wolf pflegt eine Tradition, die gesamte elektrische und elektronische Ausrüstung für Sportstätten zu liefern. Ein Prestigeprojekt ausgerechnet in Medellín, wer denkt an Sport, wenn der Name der Stadt fällt. Gretas neue Kampagne hieß Live, einfach Live. Sie sollte aufzeigen, dass die Produkte von D’Wolf in alle Bereiche des Lebens eingehen, die wirklich wichtig sind. Sport war wichtig, auch wenn er in
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