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Die letzte Offenbarung

Die letzte Offenbarung

Titel: Die letzte Offenbarung
Autoren: Stephan M. Rother
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Prolog
    Rom brannte. Allerdings waren von hier, von den Terrassen der päpstlichen Sommerresidenz, keine Flammen zu erkennen. Der Palast von Castel Gandolfo erhob sich am Rand der Colli Albani, fünfzehn, zwanzig Kilometer von der Ewigen Stadt entfernt.
    Doch der Nachthimmel im Norden sah aus wie blasses Blut, einem fluoreszierenden Nordlicht gleich oder dem Furcht einflößenden Schweif eines Kometen. Beides Naturerscheinungen, welche die Menschen früherer Zeiten als Botschaften Gottes gedeutet hatten: Vorboten schrecklicher Ereignisse.
    Dies aber waren keine Vorboten.
    Dies war das Verhängnis selbst.
    Das Unheimlichste an der nächtlichen Szenerie war die vollkommene Lautlosigkeit, mit der das ferne Geschehen vor sich ging. Kein Motorenlärm der Einsatzfahrzeuge, kein Sirenengeheul war hier in den Albaner Bergen zu hören. Alles war weit weg.
    Aus den Tiefen der päpstlichen Gärten erklang das Konzert der Grillen. Klang es verstört in dieser Nacht? Verstörend? Das halblaute Gemurmel der Betenden mischte sich darunter.
    Auch ich sollte beten , dachte Pedro De la Rosa. Mehr als jeder andere . Er fröstelte. Er versuchte, es zu verbergen, doch es gelang ihm nicht. Ohne Aufforderung legte ihm jemand etwas über die Schultern, einen Mantel oder eine Decke, er achtete nicht darauf.
    Hin und wieder erschienen schemenhafte Gestalten aus der Dunkelheit. Mit gedämpfter Stimme brachten sie Neuigkeiten. De la Rosa hörte die Worte, nickte und konnte sie doch nicht begreifen.
    Rom brannte.
    Ich sollte dort sein , dachte er. Wojtyla wäre längst dort gewesen. Der Deutsche, Benedetto, auch. Vermutlich .
    Was hätte ER wohl getan? Das Frösteln kam wieder, und diesmal war es heftiger. Was hat er wohl getan? , verbesserte er sich. Er war dabei, als Nero die Stadt in Brand steckte und es dann den Christen in die Schuhe schob . Simon Petrus war dabei gewesen. Wie so viele seiner Glaubensbrüder und -Schwestern war er dafür am Kreuz gestorben.
    Er hätte mit angepackt , dachte De la Rosa. Er hätte versucht, den Menschen zu helfen. Er war mit Sicherheit ein kräftiger Mann, schließlich war er mal Fischer gewesen. Kein großer Gelehrter oder Politiker. Petrus hätte sich nicht abseits gehalten .
    »Ich muss zu ihnen«, murmelte er.
    »Sua Santità?«, fragte eine leise Stimme. »Euer Heiligkeit? «
    Pedro De la Rosa, Papst Pius XIV., horchte auf. Diese Stimme war anders als die anderen. Die Worte waren nicht etwa laut gesprochen, doch sie besaßen einen anderen Klang als das Geflüster, mit dem man ihm Nachricht von den Vorgängen in der Stadt gab.
    Der Papst wandte sich um, und Bruder Duarte deutete eine knappe Verneigung an. Der dunkelhäutige junge Mann war schon in Venezuela De la Rosas Vertrauter gewesen.
    »Ich muss zu ihnen«, wiederholte der Papst. »Weide meine Herde, hat der Herr zu Petrus gesprochen, und dort unten... dort unten verbrennt die Herde.«
    Duarte nickte, und seine Lippen verzogen sich zum Anflug eines Lächelns. Es lag Verständnis darin, nicht Herablassung. Duarte, stellte De la Rosa wieder einmal fest, war ein gut aussehender Mann.
    »Wenn Sie jetzt nach Rom fahren, Euer Heiligkeit, wird der Präfekt der carabinieri ein Großaufgebot von seinen Mannschaften abziehen. Wollen Sie das?«
    »Ich könnte nach meinen Kräften...«
    »Sie würden nach Ihren Kräften«, nickte der junge Mann. »Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Sie Seite an Seite mit den Arbeitern auf den Plantagen gestanden haben. Abends, wenn die anderen erschöpft am Boden saßen, haben Sie ihnen noch das Wort des Herrn verkündet. Nur waren Sie damals fünfzehn Jahre jünger — und Sie waren nicht der Papst, das Lieblingsziel aller Verrückten und Fanatiker dieser Welt.« Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. Es war, als wäre eine Wolke vor den weißen Mond gezogen. »Was Sie dort unten geben könnten, Euer Heiligkeit, stände in keinem Verhältnis zum Aufwand und den Gefahren. Hier dagegen können Sie etwas tun. Der Bürgermeister wird natürlich auch reden — aber der Bürgermeister ist nicht Sie.«
    De la Rosa sah ihn an. Er wusste, dass Duarte recht hatte.
    »Das Studio ist vorbereitet«, sagte der junge Mann. »Sind Sie bereit?«
    Der Papst neigte den Kopf. Er war es nicht. Er war nicht bereit, doch er wusste, dass dies das Beste und Einzige war, was er im Augenblick tun konnte, also würde er jetzt zu den Menschen sprechen.
    Ein letzter Blick auf den blassroten Schimmer über dem Horizont, dann folgte er Duarte in das
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