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Die letzte Offenbarung

Die letzte Offenbarung

Titel: Die letzte Offenbarung
Autoren: Stephan M. Rother
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Weg.
    »Für Sie habe ich etwas anderes«, wiederholte der alte Mann. Er drehte sich um, und seine hellen Augen fixierten Amadeo. »Dass diese Bücher hier sind, weiß nur eine Handvoll Menschen. Und jeder von ihnen hat einen lateinischen Titel, der eine halbe Seite lang ist. Ich muss Ihnen kaum sagen, was mit Ihnen passiert, wenn auch nur ein Wort davon nach außen dringt. Diese Bücher...« Er griff in das Schrankfach, beförderte einen voluminösen Pappkarton auf den Schreibtisch und seufzte leise. »Eine Schande, Bücher von solchem Wert, verpackt wie Altpapier. Vermutlich wegen der Geheimhaltung.«
    Mit einem Nicken forderte er Amadeo auf, näher zu treten, dann hob er den Deckel ab. Papierfetzen stoben auf, und der Gestank nach Rauch und Asche stieg dem jungen Restaurator entgegen.
    »Zweifellos gibt es in anderen Werkstätten noch mehr davon. Es ist nicht viel übrig von den Büchern. Die Einbände haben etwas besser durchgehalten als das Pergament, die Seiten allerdings sind wild durcheinander.« Er hielt unvermittelt inne. Wieder ein Blick in die Tasse. Amadeo dachte schon, der capo wäre am Ende. Dann, übergangslos, sprach di Tomasi weiter: »Um das auf die Reihe zu bekommen, brauche ich jemanden, der den Text lesen kann. Und der ihn auch versteht.«
    Amadeo nickte. »Ja«, sagte er leise. »Das ist wohl sinnvoll. Was sind das für Bücher?«
    Der capo hob die Schultern. »Was weiß ich. Alte Folianten, aus dem Vatikan.« Seine Stimme wurde zusehends undeutlicher. »Hab sie mir nicht im Einzelnen angesehen, sind heute Morgen erst gekommen. Pergamenthandschriften, quer durch die Jahrhunderte. Was eben beschädigt wurde. Ihnen ist nicht neu, was der Heilige Stuhl für ein Geheimnis um seine Archive macht. Delikate Sache, gerade jetzt. Wussten Sie, dass der neue pontifice als Kenner der Materie gilt? Etwas modern für meinen Geschmack, der Mann.« Eine Kunstpause. Der capo wiegte nachdenklich den Kopf. »Aber gut. Gut, gut, dass jemand am Ruder ist, der unsere Arbeit zu würdigen weiß. Welche Bücher es sind, geht jedenfalls niemanden was an. Ein Wunder, dass sie die Schriften überhaupt aus der Hand geben.«
    »Warum tun sie es dann?«
    Der alte Mann seufzte. »Können Sie sich das nicht denken? Es bleibt ihnen kaum was anderes übrig. Dasselbe Problem, das sie damals in Weimar hatten. Die obersten«, mit einer wedelnden Handbewegung wies er vage in Richtung Karton, »sind nur ein bisschen zerfleddert, aber einige der anderen haben Wasser gezogen. Das bekommen sie ohne unsere Hilfe nicht wieder hin.«
    Wortlos stimmte Amadeo zu. Wenn erst einmal Wasser in einen Buchblock eingedrungen war, musste man sofort handeln, sonst setzte sich der Verfall unaufhaltsam fort. Wasser, dachte er, oder caffè .
    »Sie machen sich sofort an die Arbeit«, beschloss Giorgio di Tomasi. »Ach ja, Sie arbeiten von nun an im Sekretum. Dort haben Sie mehr Ruhe, auch gibt es weniger neugierige Augen. Und wenn was nach außen dringt, weiß ich, wem ich den Kopf abreißen muss.«
    Er sah den Restaurator an, als wollte er noch etwas sagen, doch dann wies er nur noch einmal auf den Karton. »Den nehmen Sie gleich mit.« Der capo schloss den Deckel und reichte Amadeo das Paket.
    Er war überraschend schwer. Vielleicht lag es am Löschwasser, oder es waren Bücher mit metallbeschlagenen Einbänden dabei. Die Anzahl der Bände konnte der Restaurator so nicht abschätzen. »Wie viel Zeit habe ich?«
    »Gar keine«, sagte der Alte. »Was sollen wir machen? Sie wollen ihre Bücher am liebsten sofort zurück. Sie kennen die Monsignori doch, misstrauisch wie sie sind — selbst bei einem Traditionsunternehmen wie der officina !«
    »Nun, sie waren klug genug, sie hierherzuschicken.«
    Di Tomasi lächelte. »Allerdings. Traditionen — entschuldigen Sie das Wortspiel — sind dem Vatikan eben heilig.«
    »Gut für uns«, erwiderte Amadeo grinsend. »Und gut für die Bücher.«
III
    Ein Buch aufzuschlagen, das kam Amadeo jedes Mal vor, als betrete er eine andere Welt. Dieses Gefühl war umso stärker, wenn er kein gedrucktes Buch auf den Arbeitstisch bekam, sondern eine alte Handschrift. Der heilige Antonius etwa war ein solches Werk. Es gab Sammler und Museen, die ein kleines Vermögen für so etwas hinblätterten. Kein Wunder, dass der capo Niccolosi angestarrt hatte, als hätte der Kahlkopf einen Mord begangen.
    Amadeo hatte sich ins Sekretum begeben, einen abgeschlossenen Bereich der officina , der besonders aufwendigen und, wie der Name
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