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Die letzte Offenbarung

Die letzte Offenbarung

Titel: Die letzte Offenbarung
Autoren: Stephan M. Rother
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Amadeo.
    »Ich sag's doch«, strahlte der Glatzkopf. »Als Team sind wir eben unschlagbar.«
II
    »Sie waren in der Anna Amalia«, stellte Signor di Tomasi fest.
    Er hatte Amadeo keinen Stuhl angeboten, doch der Restaurator nahm es hin: Sollte der capo seine kleine Rache haben. Wenn er allerdings glaubte, ein Amadeo Fanelli aus den Marken würde die Hände auf dem Rücken verschränken und schuldbewusst zu Boden blicken, dann hatte er sich getäuscht. Diesen Gefallen würde er Giorgio di Tomasi nicht tun.
    Doch egal. Niccolosi wurde nicht gefeuert, das war die Hauptsache. Auf der anderen Seite war der capo verdächtig schnell wieder ruhig geworden. Wenn Mitarbeiter gekündigt worden waren, dann waren oft Kleinigkeiten der Anlass gewesen, nicht ansatzweise vergleichbar mit der Flutung des heiligen Antonius. Und was zum Teufel hatte der Mann jetzt mit der Anna Amalia Bibliothek?
    Giorgio di Tomasi hatte selbst eine dampfende Tasse caffè corretto auf seinem Schreibtisch stehen und nahm jetzt einen Schluck. Der Duft nach Grappa drang an Amadeos Nase. Der capo erwartete, dass der corretto jeden Tag um Punkt Viertel nach zwei für ihn bereitstand. Ein sonderbares Getränk zu einer sonderbaren Zeit. Aber das war wie beim Mittagessen: Di Tomasi nahm auch sein pranzo zu einer sonderbaren Zeit ein und erwartete, dass man auf seine Eigenheiten einging. Der caffè corretto gehörte zu Amadeos undeutlich umrissenen Aufgaben. »Wissenschaftliche Beratung«, hieß es in seinem Vertrag. Er war gespannt, wo heute Beratungsbedarf bestand.
    »Ja«, sagte er. »Ich war in Weimar. Sie erinnern sich: der große Brand vor ein paar Jahren. Ich sollte die beschädigten Bücher eigentlich nur sichten, doch am Ende habe ich eher beim Binden...«
    Giorgio di Tomasi nahm noch einen Schluck. Nur der caffè , wohlgemerkt, war Amadeos Aufgabe, den Grappa gab der alte Mann nach eigenem Gutdünken zu. Heute hatte er sich für eine ganz beachtliche Dosis der Spirituose entschieden.
    »Ich weiß, ich weiß.« Di Tomasi winkte ab. »Sie kennen sich aus mit alten Büchern.«
    Sonst wäre ich hier auch falsch, dachte Amadeo.
    »Sie gelten als verschwiegen«, fuhr der capo fort. Er schien eher mit sich selbst zu sprechen. »Und das ist auch gut so. Ich weiß, dass Sie oft in den Manuskripten lesen, die Sie auf den Tisch bekommen. Von den Angestellten liest niemand fließend Latein oder Griechisch oder...«
    »Aramäisch«, half ihm Amadeo. »Hebräisch, Arabisch. — Auf Sanskrit hatten wir noch nichts.«
    »Dio mio.« Der capo stellte seine Tasse ab. »Was haben Sie nur alles studiert«, murmelte er anerkennend. »Nein, erzählen Sie's nicht. Steht ja hier drin.« Er legte die Hand auf einen Stapel dunkler Ordner.
    »Geschichte, Kunstgeschichte, Vergleichende Kulturwissenschaften — was auch immer das ist. Theologie...« Di Tomasi fuhr sich durchs Haar. »Sie als Monsignore — so viel Fantasie habe ich nicht. Wenigstens wären die Ministranten sicher vor Ihnen.« Er seufzte. »Es sind schreckliche Zeiten. Wenn ich mir vorstelle, dass jemand meiner Chiara zu nahe kommt...« Sein Blick veränderte sich, richtete sich starr geradeaus. »Dem Kerl würde ich das Genick brechen.«
    Amadeo schluckte. Der Mann konnte offenbar durch geschlossene Türen sehen.
    »Den heiligen Antonius geben Sie bitte an Niccolosi weiter«, wechselte di Tomasi unvermittelt das Thema. »Der bügelt das wieder hin. Und wenn er die Handschrift wirklich bügeln muss. Für Sie habe ich etwas anderes.«
    Er erhob sich ächzend. Giorgio di Tomasi war vierundsiebzig und damit exakt vierzig Jahre älter als Amadeo, doch für sein Alter war er eigentlich fit. Das Ächzen ist ein Vorwurf, dachte der Restaurator. Aber da wird er an sich deutlicher. Sehr viel deutlicher. Und lauter vor allem.
    Vielleicht war es die ungewöhnliche Dosis an Grappa, möglicherweise auch der römische Sommer. In diesem Jahr war die Sommerhitze besonders unerträglich. Seit Wochen schien sich kein Lüftchen zu regen. Zwei Monate nach dem großen Brand, der halb Trastevere eingeäschert hatte, verströmte die Stadt noch immer den Duft eines frisch erloschenen Scheiterhaufens.
    Andererseits war der capo die Sommer in der Ewigen Stadt von Kindesbeinen an gewohnt.
    Mit langsamen Schritten trat er an einen deckenhohen Metallschrank und fingerte ein Schlüsselbund von seinem Gürtel. Knirschend öffnete sich der Schließmechanismus.
    Amadeo konnte noch nicht erkennen, was sich in dem Schrank befand — die Tür war im
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