Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Überlebende: Roman (German Edition)

Der Überlebende: Roman (German Edition)

Titel: Der Überlebende: Roman (German Edition)
Autoren: Ernst-Wilhelm Händler
Vom Netzwerk:
Virtuelle Photonen und Teilchen-Antiteilchen-Paare tauchen plötzlich auf und verschwinden sofort wieder. Sie lassen sich nicht direkt nachweisen, jedoch stoßen etwa virtuelle Photonen atomar gebundene Elektronen an, was kleine, aber messbare Unterschiede der jeweiligen Energieniveaus hervorruft. Das Vakuum brodelt und wabert, das Vakuum ist nicht nichts, sondern lediglich der energieärmste Zustand.
    Die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung unseres Universums mit seinen vierhundert bis sechshundert Milliarden weihelichen Galaxien, darunter die Milchstraße mit ihren zweihundert bis vierhundert Milliarden Sonnen, aus dem Nichts wird auf eins zu zehn hoch zehn hoch einhundertdreiundzwanzig geschätzt. Die doppelte Hochzahl kann man nicht ausschreiben, setzt man die Ziffern in der leseüblichen Größe, reicht der Platz im Universum nicht aus. Existiert ein Gott, der dem Zufall ein wenig nachgeholfen hat, damit es das Universum gibt? Aber damit ist das Problem ja nicht gelöst. Die Wahrscheinlichkeit für einen Gott, der das Universum geschaffen hat, ist kleiner oder bestenfalls gleich der Wahrscheinlichkeit für das Universum.
    Ich existiere, das ist sicher, ich las es am Tag nach der Werkseinweihung in der Leipziger Volkszeitung. Ich bin nicht allein im Universum: Das Werk – mit dem Roboterlabor – hat ziemlich genau achthundert Mitarbeiter.
    Ich habe einen befreundeten Physiker die Wahrscheinlichkeit ausrechnen lassen, dass sich eine Materieansammlung wie das Roboterlabor samt Inhalt spontan bildet. Sie liegt zwischen eins zu zehn hoch zehn hoch einundfünfzig und eins zu zehn hoch zehn hoch siebzig. Das Roboterlabor ist demnach zwar auch nicht gerade wahrscheinlich, aber immerhin sehr viel wahrscheinlicher als das Universum. Der Physiker fragte mich, warum ich ausgerechnet an der Wahrscheinlichkeit des Roboterlabors interessiert sei. Ich sagte, ich hätte meine Gründe.

    Peter saß hinter dem Steuer. Seit der Werkseinweihung kämmte er die Haare hinter die Ohren. Das verlieh seinem angenehmen Gesicht mit der hohen glatten Stirn, der langgezogenen Nase und dem markanten Kinn bei schmalen Kiefern einen ätherischen Zug, der in ungeklärtem Gegensatz zu dem für einen Mann ungewöhnlich vollen Mund mit der ausgeprägten Oberlippenfurche stand.
    Nachdem Burgi die Kündigung ausgehändigt worden war, hatte sie sich sofort krankgemeldet. Wenn ich Peter kommen ließ, um ihm eine Anweisung zu erteilen, machte er den Mund nicht auf, bei Besprechungen hielt er den größtmöglichen Abstand zu mir.
    Ich deutete es als eine Versöhnungsgeste, dass er von sich aus das Thema OpTime anschnitt. Die Kampagne des Vorstands zielte darauf, alle Produkte der Firma schneller auf den Markt zu bringen. OpTime bedeutete ein Abrücken von der D’Wolf-Tradition, denn OpTime war der Musterfall einer riskanten Praktik: Ein früherer Markteintritt garantiert noch nicht den Erfolg, vor allem birgt er das Risiko überproportional hoher Kosten.
    Peter dachte laut nach: »Wenn man die Performance riskanter Praktiken untersucht, dann muss die Stichprobe alle Firmen enthalten, die die Praktiken angewendet haben, diejenigen Firmen inklusive, die es nicht mehr gibt.«
    Burgi war auch ein Opfer der Kampagne, ohne OpTime hätten die Controller in Berlin nicht so hysterisch auf die Aktennotizen über die Verzögerung bei der Software reagiert. Peter hatte begriffen, dass ich auf irgendeine Art und Weise den Druck von oben weitergeben musste. Schließlich konnte ich nicht ihn entlassen.
    Im Roboterlabor kamen wir mit der Bildverarbeitung nicht voran. Die Bildsegmentierung, bei der die Objekte zunächst vom Hintergrund und danach in einem Silhouettenbild voneinander gesondert werden, gestaltete sich nicht genügend trennscharf. Schließlich hatte ich eine Idee. Loud Plane war der Name eines Bildverarbeitungsprogramms, das eine Dresdener Softwarefirma namens Phoenix für General Electric entwickelte. Es bereitete keine Probleme, das Projektteam für Loud Plane zu identifizieren, ich suchte mir einen Programmierer aus, dem ich an seine Privatadresse anonym eine Mail schrieb, ich würde eine Kopie von Loud Plane gut bezahlen, Cash ohne Nachweis.
    Die Firma Phoenix traf ungewöhnlich scharfe Sicherheitsvorkehrungen: An bestimmten Projekten, zu denen auch Loud Plane gehörte, mussten die Mitarbeiter ausschließlich in der Firma arbeiten, sie durften Notebooks oder Speichermedien weder in die Firma mitbringen noch mit nach Hause nehmen, am Eingang gab
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher