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Der Überlebende: Roman (German Edition)

Der Überlebende: Roman (German Edition)

Titel: Der Überlebende: Roman (German Edition)
Autoren: Ernst-Wilhelm Händler
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wandte mich um, ich saß ganz außen, Sondra ebenfalls. Sie hatte die Beine übereinandergeschlagen, der Rock war hochgerutscht. Niemand befand sich hinter ihr, die Augen der neben ihr Sitzenden waren auf den Vortragenden gerichtet. Sie trug Stayups, deutlich konnte ich ein in das Strumpfband eingestecktes Futteral erkennen und die Farben Rot, Gelb und Blau ausmachen. Als sie aufblickte und sah, dass ich sie fixierte, zog sie den Rock hastig herunter.
    »Haben wir uns selbst besser verstanden, ist es auch für die anderen leichter, uns zu verstehen. Wenn wir eine gute Geschichte erzählen, dann lernen die anderen uns besser kennen. Eine Geschichte, die bewirkt, dass wir an uns selbst glauben, erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass andere an uns glauben.«
    Man kann sich für eine Geschichte entscheiden. Aber kann man sich auch aussuchen, wie sie endet?
    Bei dem gesetzten Abendessen in der Kantine hatte ich dafür gesorgt, dass Peter und Sondra weit voneinander weg platziert waren, damit sie sich nicht austauschen konnten. Unmittelbar nach dem Essen sollten sie in einer Zweier-Besprechung die noch offenen Fragen bezüglich der Schnittstellen klären, die anderen Mitglieder des Kandor Clubs besuchten ein bestelltes Konzert in der Thomaskirche. Eine Assistentin holte Peter und Sondra ab und brachte sie in einen Besprechungsraum, wo ich an einem Bildschirm eine Kamera und ein Mikrophon installiert hatte. Die Assistentin war angewiesen, die beiden nicht aus den Augen zu lassen, bis sie im Zielraum angelangt waren. Ich wollte wissen, wie sich Sondra und Peter verhielten, wenn sie sich endlich unbeobachtet glaubten.
    Kurz nachdem die Assistentin die beiden übernommen hatte, verließ ich ebenfalls die Kantine. Die Kamera in dem Besprechungszimmer war mit einem Monitor im Roboterlabor verbunden. An dessen Eingangstür erwartete mich jedoch eine böse Überraschung: Meine Schlüsselkarte funktionierte nicht, was noch nie vorgekommen war.
    Außer Peter hielt sich keiner der Mitarbeiter des Roboterlabors mehr im Werk auf. Beim Pförtner war für Notfälle eine neutral bezeichnete Reserve-Schlüsselkarte hinterlegt, das Roboterlabor gab es ja offiziell nicht. Ich eilte zu der provisorisch in einem Container untergebrachten Pförtnerloge. Dort, wo das Pförtnerhaus errichtet werden sollte, war man bei den Erdarbeiten auf vorzeitliche Gräber gestoßen, bis die Funde ausgewertet waren, griff ein Baustopp. Besucher mussten sich durch das gelblich leuchtende Fenster neben der Tür anmelden. Mit der flachen Hand schlug ich auf das Glas, niemand kam. Ich wischte die verschmierte Scheibe mit dem Ärmel ab und presste die Stirn dagegen. Vor einem uralten Holzschreibtisch ein schiefstehender, mit brüchigem dunkelbraunem Leder überzogener Drehstuhl. Auf dem Schreibtisch ein Karteikasten, darin vergilbte und verschrumpelte Karteikarten, und ein Röhrenradio mit riesigen Bedienelementen, die Senderskala glomm rot. Neben dem Schreibtisch ein Holzregal voller Telefonbücher. Wer benutzt noch Telefonbücher? Wütend pochte ich mit der geballten Faust an der Tür. Die Pförtnerloge musste doch besetzt sein, es gehörte nicht zu den Aufgaben des Pförtners, auf dem Gelände zu patrouillieren, dafür war ein externes Sicherheitsunternehmen zuständig.
    Schließlich öffnete ein älterer Mann in einem schlechtsitzenden grauen Anzug, einem weißen Hemd mit Schmutzrand und einer Krawatte voller Flecke. Er hatte eine altmodische Brille mit einer oben schwarzen und unten durchsichtigen Kunststofffassung auf. Ich bin auch ein älterer Mann. Ich sagte dem Pförtner, er solle mir schnellstens die Ersatz-Schlüsselkarte geben, sein Hemd waschen und seine Krawatte in die Reinigung bringen.
    Er rührte sich nicht. Hilfesuchend blickte er zu der Frau auf dem abgeschabten Sofa in der Ecke des Raums. Zwar älter als er, musste sie jedoch einmal eine attraktive Erscheinung gewesen sein, ihr Gesicht wirkte lebendig, die dauergewellten roten Haare leuchteten im Halbdunkel des Containers. Neben dem Sofa surrte ein großer Ventilator in einem Drahtkäfig. Freundlich sagte sie zu mir, es sei ein sehr warmer Tag gewesen. Sie nickte dem Mann zu, der in eine Schublade des Schreibtisches griff und mir die Schlüsselkarte reichte.
    Ich hatte mich bereits zum Gehen gewandt, als auf einmal ein Blitz den Raum erhellte, begleitet von einem Klackgeräusch, gefolgt von einem mechanischen Surren. Hinter dem Sofa und dem Ventilator trennten zwei Vorhänge den Raum, sie
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