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Der Totenleser

Der Totenleser

Titel: Der Totenleser
Autoren: Antonio Garrido
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dasselbe Wort in unterschiedlichen Umschriften auftaucht, abhängig von der Wahrnehmung des jeweiligen Hörers. Daher finden wir die Hauptfigur Song Ci, je nachdem, welche Quelle wir benutzen, auch als Tsong Ci, Tsung Ci, Sung Ci, Sun Tzu oder Sung Tzu.
    Des Weiteren wird in China der Familienname immer vor dem Rufnamen gesprochen, auch wenn Letzterer kaum vorkommt, da man allein den Familiennamen verwendet. Ci wäre von seinen Zeitgenossen in Wirklichkeit Song Ci oder einfach nur Song genannt worden.
    Ich habe die Reihenfolge bisweilen vertauscht, um Verständnisprobleme zu vermeiden, die entstünden, wenn im selben Absatz von Kindern und Eltern mit voneinander nicht unterscheidbaren Namen die Rede wäre.
    Als dieses Problem gelöst war, musste ich mich der wichtigsten Herausforderung für einen Autor stellen, der einen Roman mit historischem Hintergrund schreiben möchte. Es galt festzulegen, wie viel Wahrheit und wie viel Fiktion der Text enthalten sollte, um tatsächlich als historisch angesehen zu werden.
    Der Semiologe und Romancier Umberto Eco stellte in diesem Zusammenhang drei verschiedene Kategorien auf:zunächst den romantischen oder in einer phantastischen Welt angesiedelten Roman, in dem sowohl die Figuren als auch die erzählten Ereignisse und der historische Hintergrund fiktiv sind, aber einen Anschein von Wahrhaftigkeit besitzen (ein Beispiel für diese Gruppe wären die Romane des Arthus-Zyklus von Bernard Cornwell). An zweiter Stelle kommt das, was Eco »Mantel- und Degenstücke« nennt, Romane, in denen reale historische Personen dank der Einbildungskraft des Autors in fiktive Situationen geraten (in dieser Abteilung finden wir Schriftsteller wie Walter Scott, Alexandre Dumas oder Leo Tolstoi). Und zuletzt jene, die Eco »die eigentlichen historischen Romane« nennt und die fiktive Figuren in einer realen historischen Situation agieren lassen (und zu denen offenkundig sein paradigmatisches Werk Der Name der Rose gehört).
    Meine Meinung ist, dass ein historischer Roman in erster Linie ein Roman sein sollte. Nur so erklären sich sein Zauber und seine Verführungskraft. Ein weiteres entscheidendes Kriterium sollten die Strenge und die Ehrlichkeit sein, mit denen der Autor die geschilderten historischen Ereignisse behandelt. Denn es ist genauso historisch, einen Roman über Julius Cäsar im Gallischen Krieg zu schreiben wie über einen anonymen Sklaven, der sein Leben beim Bau einer Kirche gelassen hat. Alles hängt von der Strenge ab. Im Fall von Cäsar ist die Figur historisch, doch das garantiert nicht, dass seine Taten, seine Gefühle oder seine Gedanken in unserer Erzählung es sind. Im zweiten Fall hat es den Sklaven bestimmt nicht gegeben, aber es hätte jemanden wie ihn geben können. Und wenn sich unsere fiktive Person so verhält wie dieser Sklave, den es möglicherweise gegeben hat, dann erscheint die Episode so lebendig und echt, als könnten wir in die Vergangenheit reisen und ihn beobachten.
    Der große Historiker Jacques Le Goff war der Erste, der die Geschichte der alltäglichen Dinge ins Zentrum rückte: die der mittelalterlichen Jahrmärkte, der armen Leute, die in den Dörfern dahinvegetierten, die der Krankheiten, der Strafen und Foltermethoden, die Geschichte der Vergessenen im Gegensatz zum Glanz und Widerhall der Schlachten, die immer von den Siegern erzählt werden.
    Im Fall von Der Totenleser ist der Protagonist Song Ci eine reale Person, deren Taten so gut wie unbekannt sind, an die man sich jedoch wegen ihres monumentalen Werkes erinnert. Deshalb habe ich in meinem Roman versucht, die Arbeitsweise des Helden, seine innovativen forensischen Methoden, die Schwierigkeiten seiner Anfänge, seine Verwegenheit, seinen intellektuellen Scharfsinn, seine Liebe zum Studium und sein Streben nach Wahrheit und Gerechtigkeit mit größter Sorgfalt wiederzugeben. Alle Prozesse, die Verfahren, Gesetze, Protokolle, Analysen und Methoden, das Instrumentarium und die beschriebenen Materialien bei den geschilderten Fällen entsprechen exakt der Wirklichkeit. Das Figurenensemble wird von weiteren realen Personen vervollständigt, zu denen der Kaiser Nin Zong mit seinem Gefolge, der Strafrat und der alte Professor Ming gehören. Daneben stützte ich mich auf historische Tatsachen wie die Existenz der berühmten Akademie, die politische Instabilität an der Grenze und besonders das weltweit erstmalige Auftauchen der sogenannten Handkanone oder Pistole ( handgun ), einer ebenso neuartigen wie
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