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Der Totenleser

Der Totenleser

Titel: Der Totenleser
Autoren: Antonio Garrido
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Molekulargenetik handelten. Der Beitrag jedoch, der sofort mein Interesse auf sich zog, beschäftigte sich nicht mit den neuesten Fortschritten in der Spektrophotometrie oder mit den Entdeckungen im Bereich der Analyse mitochondrialer DNA, sondern konzentrierte sich auf die historischen Anfänge der Rechtsmedizin. Genauer, er widmete sich jener Person, die weltweit als Vorläufer und Vater dieser Disziplin angesehen wird, einem Mann aus dem asiatischen Mittelalter, dem Chinesen Song Ci.
    Augenblicklich wusste ich, dass ich mein Thema gefunden hatte. Ich legte andere Projekte zur Seite und wandte mich ganz einem Roman zu, der die Mühe wirklich lohnen sollte: dem außergewöhnlichen Leben des ersten Forensikers der Geschichte, einem faszinierenden Schicksal im exotischen Alten China.
    Doch die Recherche erwies sich als ausgesprochen schwierig. Song Cis Biographie umfasste nicht mehr als dreißig, aus einem Dutzend Bücher zusammengetragener Absätze, die, auch wenn sie der Fiktion Raum ließen, den Möglichkeiten einer streng biographischen Handlung Grenzen setzten. Zum Glück konnte man dasselbe nicht von seinem Werk sagen, denn die fünf Bände des HsiYuan Lu Hsiang i , seiner im Jahr 1247 publizierten forensischen Abhandlung, hatten dank ihrer Übersetzungen ins Japanische, Koreanische, Russische,Deutsche, Holländische, Französische und Englische bis in unsere Tage überdauert.
    Mit Hilfe meines Freundes Alex Lima, Schriftsteller und Dozent am Suffolk County Community College, bekam ich ein Faksimile dieser fünf Bände, herausgegeben von Nathan Smith vom Zentrum für Chinesische Studien an der Universität Michigan, genauer, eine Übersetzung von Prof. Brian McKnight, die auch das nützliche Vorwort der japanischen Ausgabe von 1854 enthielt.
    Der erste Band des systematisch angelegten Werkes widmet sich der Auflistung von Gesetzen für die Arbeit der Ermittlungsrichter, den bürokratischen Verfahren einschließlich der Fristen, der Anzahl der bei einem Verbrechen durchzuführenden Untersuchungen und der dafür Verantwortlichen,den Gerichtsbezirken, den Aufnahmeprotokollen der Ermittler, der Ausarbeitung der rechtsmedizinischen Berichte und den Strafen, die den Forensikern bei einem Fehlurteil drohten. Außerdem empfahl es eine bestimmte Vorgehensweise bei der Untersuchung von Leichen,wozu auch die Verpflichtung gehörte, unter Verwendung schematischer Körperdarstellungen, auf denen die einzelnen Funde eingetragen werden mussten, die Ergebnisse graphisch festzuhalten.
    Der zweite Band beschreibt die verschiedenen Zersetzungsphasen der Leichen, ihre Veränderungen in Abhängigkeit von der Jahreszeit, die Reinigung und Vorbereitung der Leichen, die Untersuchung unbestatteter Leichname, die Exhumierung von Leichen, die Untersuchung verwester Körper, die Methoden zum Auffinden von Beweisen an bereits stark verwesten Leichen, die forensische Insektenkunde, die Untersuchung in Fällen von Ersticken oder Entkräftung, die Besonderheiten weiblicher Leichname und die Untersuchung von Föten.
    Der dritte Band beschäftigt sich ausführlich mit der Untersuchung von Knochen, mit ihrer Analyse durch den Einsatz bestimmter Chemikalien, mit den Spuren von Verletzungen an skelettierten Leichen, mit der Diskussion über lebenswichtige Stellen am Körper, die sogenannten Vitalpunkte, mit den Selbsttötungen durch Erhängen, mit den vorgetäuschten Selbsttötungen zur Verschleierung von Morden und mit den Todesfällen durch Untertauchen.
    Der vierte Band handelt von durch Schläge und Tritte oder durch Stoß-, Stich- und Hiebwaffen herbeigeführten Todesfällen, von der Untersuchung von Selbsttötungen mittels scharfer Gegenstände, von Morden durch mehrfache Verletzungen, bei denen es darum ging, die eigentliche Todesursache zu ermitteln, von Enthauptungen (einschließlich jener, bei denen entweder der Rumpf oder der Kopf fehlte), von Todesfällen durch Verbrennungen oder durch das Übergießen mit kochenden Flüssigkeiten, von Vergiftungen, von Todesfällen durch verborgene Krankheiten und infolge der Behandlung mit Akupunktur oder Moxa-Therapie sowie von der Registrierung der natürlichen Todesfälle.
    Der fünfte Band schließlich schildert die Untersuchungen beim Tod von Häftlingen, bei durch Folter verursachten Todesfällen, bei Todesfällen nach Stürzen aus großen Höhen, durch Zerquetschtwerden, Ersticken, ausbrechende Pferde oder Büffel, Überrolltwerden, Blitzschlag, Raubtierangriffe, Bisse von Schlangen oder
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