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Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut
Autoren: Colin Cotterill
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danken.«
    »Können wir es nicht mehr rückgängig machen?«, fragte ich Sissi. Sie war unsere Vertragsspezialistin, unsere unbezahlte Sekretärin und Buchhalterin. Bestimmt hatte sie die Unterlagen geprüft.
    Sie zog einen Stapel von Dokumenten aus ihrer nachgemachten Louis-Vuitton-Handtasche und legte ihn auf den Tisch. »Die Urkunde ist unterzeichnet, beglaubigt und unanfechtbar«, sagte sie. Ein bebender Seufzer kam von Arny am Ende des Tischs. Opa stand schäumend in der Tür. Wir alle wussten, dass die Eigentumsdokumente noch auf seinen Namen ausgestellt wären, hätte er nicht auf Oma gehört, als sie auf ihrem Sterbebett lag. Es war das erste Mal gewesen, dass er auf sie gehört hatte.
    »Überschreib alles dem Mädchen!«, hatte sie gesagt. »Du könntest jeden Moment tot umfallen, und dann würden die Schweine im Rathaus nur Steuern und Zinsen kassieren. Am Ende bleibt nichts übrig. Überschreib es dem Mädchen!«
    Und das hatte er dann getan, ein letztes Versprechen an eine Frau, auf die er nie gehört, der er nie gehorcht hatte. Ein einziges Mal hatte er getan, worum sie ihn bat, und das war nun dabei herausgekommen. Als einzige Eigentümerin bestand für seine Tochter rechtlich gesehen keinerlei Verpflichtung, die anderen in ihre Entscheidung mit einzubeziehen. Rechtlich gesehen.
    Ich brauchte einen Moment, um nachzudenken. »Okay«, sagte ich schließlich. »Pass auf. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm.«
    »Ach nein?« Sissi brodelte förmlich.
    »Nein.«
    Natürlich log ich. Ich war genauso aufgebracht wie alle anderen, aber ich musste erst mal ein paar Sachen geraderücken.
    »Nein. Überlegt doch mal! Wir wissen alle, dass man in dieses Haus viel Arbeit stecken müsste«, sagte ich mit wissendem Blick auf meiner ungewissen Miene. »Das Dach leckt, auch wenn es gar nicht regnet, und wir beherbergen einen ganzen Termitenstaat. Mit dem Geld aus dem Verkauf könnten wir uns was Besseres suchen …« Im Augenwinkel sah ich, dass Arny den Kopf schüttelte. Ich dachte, wenn ich ihn ignorierte, würde dieses Kopfschütteln unter Umständen verschwinden. »Vielleicht etwas außerhalb der Stadt, nur ein kleines Stück. Wir könnten sogar einen Garten mit …«
    Sissi stieß dieses hochmütige Lachen aus, das sie bei ihrer Seifenoper gelernt hatte. »Oho. Aber das Beste weißt du ja noch gar nicht«, sagte sie. »Es geht noch weiter. Der Umzug ist schon arrangiert, Schwesterherz.«
    »Verstehe ich nicht«, räumte ich ein.
    »Das Geld, das der alte Laden hier gebracht hat, habe ich bereits in eine zauberhafte Ferienanlage im Süden investiert.« Mair leuchtete vor Stolz. »Wir werden es ganz bestimmt wundervoll haben. Ein Traum wird wahr.«
    Es war einer dieser Träume, die man bekommt, wenn man kurz vorm Schlafengehen scharf gewürztes Hoor Mok mit klebrigem Reis isst. Ich spürte den Knoten direkt. Im Süden? Im Süden sprengten sich die Leute gegenseitig in die Luft. Alle flohen nach Norden, aber wir sollten in den Süden ziehen.
    »Wie weit südlich?«, fragte ich.
    »Ziemlich weit«, sagte sie.

Kapitel 2
    »Ich bin mir sicher, dass Menschen und Fische in friedlicher Koexistenz leben können.«
    George W. Bush
    Saginaw, Michigan, 29. September 2000
    D ie neuen Besitzer wollten ein schmales, hohes Apartmenthaus auf unserem Grundstück bauen, sodass uns genau zwei Monate blieben, um von unserem Erbe Abschied zu nehmen. Meine vierunddreißig Jahre Plunder und Erinnerungen wurden in Pappkartons verpackt. Es war eine Reise ins Unbekannte. Mair verließ sich einzig und allein auf eine Computergrafik vom Gulf Bay Lovely Resort & Restaurant in Maprao in der Provinz Chumphon. Ich musste es nachschlagen. Chumphon ist eine dieser thailändischen Provinzen, in die kein Mensch fährt. Man hat eine grobe Vorstellung davon, wo sie liegt, aber man könnte auf der Karte nicht mit dem Finger darauf zeigen. Wäre es ein Land, wäre es Liberia.
    Im ersten Monat hielten wir immer wieder Familienrat, und jeder von uns erklärte, wieso und warum er unmöglich aus Chiang Mai wegziehen konnte. Sissi hatte ihre Internetgeschäfte und war sicher, dass es im Süden nicht mal Strom gab. Arny trainierte für den Bodybuilding-Wettbewerb Northern Adonis 2008 . Zweimal schon war er nur ein Brustmuskelzucken von der Zulassung zum landesweiten Wettkampf entfernt gewesen, und wir waren allesamt davon überzeugt, dass es ihm dieses Jahr gelingen würde. Er brauchte Zugang zu Hanteln und zu Anabolika. Opa Jah wies darauf hin, dass es in
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