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Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut
Autoren: Colin Cotterill
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rotwangigen Professor.
    »Jedes Jahr tritt der Lang Suan während der Monsunzeit über die Ufer«, sagte er. »Egal welche Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, Betonufer, Überlaufbecken … nichts funktioniert. Und der einfache Grund dafür ist, dass der Fluss zu lange braucht, um seinen Weg zum Meer zu finden. Im Jahr 2002 wurde der Vorschlag gemacht, einen Kanal zu graben, um den Druck auf den Hauptfluss zu verringern, damit er schneller ablaufen kann. Das geologische Forschungsteam fand heraus, dass es einen natürlichen Lauf gab, der sich als kostengünstigster und logischer Abfluss anbot: das Flussbett hinter Koon Mels Plantage. Die Besitzer hatten sich das Flussbett gesetzeswidrig angeeignet. Es waren keine Schadenersatzforderungen zu befürchten.«
    Ich lächelte und rollte auf meinem Schreibtischstuhl zurück. Die gerissene, alte Hexe. Tante Chainawat hatte sich irgendwie eine Kopie des Gutachtens besorgt und wusste, dass möglicherweise ein Kanal durch ihr Land gebaut werden würde. Bevor dieser Umstand öffentlich wurde, hatte sie es schon verkauft. Drei Hektar von insgesamt vierzehntausend. Wie geldgeil kann man sein?
    Es gab 1978 im Süden Thailands keine Flotte von VW-Bussen, vielleicht gab es sogar nur die beiden. Einen, der – gefahren von Sugits Hippie-Tochter – im Süden verschwand. Der andere? Nun, soweit wir wissen, wurde der andere von dem toten Pärchen gemietet. Ich habe es nie beweisen können, aber ich hatte so eine Theorie, was mit diesen Blumenkindern passiert war. Sie waren mit dem Bus glücklich wie zwei Bienen in einer Tüte mit gebrannten Mandeln. Sie fuhren mit ihrer Beute nordwärts zur Übergabe, wie sie es schon einige Male getan hatten. Doch diesmal war es anders. Diesmal war das Fahren selbst ein Ausdruck reinster Lebensfreude. Sie waren jung, auf der Suche nach Erfahrungen, Schönheit, Liebe. Auf der Suche nach der Wildheit, die sie in ihren Seelen vermuteten. Sie hielten sich auf ihrer Fahrt gen Norden an die Küstenstraße, um die Highway-Polizei zu meiden. Sie hatten die Abfahrt bei La Mae verpasst, und die befestigten Straßen verwandelten sich in rutschigen Lehm. Sie hätten umkehren sollen, aber der Ausblick im Sturm war grandios. Ihre Herzen rasten vor Begeisterung. Das war spannend für die beiden Stadtkinder, die ihre spannendsten Momente normalerweise im Kino erlebten. Der Lehm verwandelte sich in Morast, und es gab keine Möglichkeit, den Lang Suan so nah der Mündung zu überqueren. Sie drehten um, hielten an und beschlossen abzuwarten.
    Ich würde es im Drehbuch noch etwas aufblasen und ein paar knurrige Momente für Eastwood einbauen, aber so stellte ich es mir vor:
    DRAUSSEN: UNBEFESTIGTE STRASSE – TAG
    Pip und Doom sitzen vorn in einem VW-Bus und fahren durch sintflutartigen Regen. Die Scheibenwischer kommen kaum hinterher. Die Straße ist ein aufgewühltes Meer, doch sie scheinen davon nichts zu merken. Doom hat ihre Hand auf dem Oberschenkel ihres Liebsten, und sie lächeln, als das große Blechtier durch eine Wasserwand nach der nächsten taucht. Sie lacht nervös. Die Räder drehen durch und schlittern, und sie schlingern hin und her. Dann plötzlich kommen sie zum Ufer eines wütenden Flusses und können gerade noch bremsen, um nicht in den Fluten zu versinken.
    AUFBLENDE DRAUSSEN: FLUSSMITTE – SPÄTER
    Wir sehen ein buntes, geschnitztes Schaukelpferd, das mit der Strömung des Flusses treibt wie ein Floß über Stromschnellen. Wir glauben nicht, dass es bei der Flut oben bleibt, während es bockt und taucht, doch der Pferdekopf kommt immer wieder hoch. Dann geschieht etwas Verblüffendes: Das Wasser des Flusses, das eben noch tobte, wird erst langsamer, dann fließt es nicht mehr weiter. Ein paar angespannte Sekunden lang treibt das Pferd wie im luftleeren Raum, still wie eine Pfütze. In der Ferne, am Ufer des Flusses, steht der VW-Bus. Es hat aufgehört zu regnen. Die untergehende Sonne hat einen Spalt in den Wolken gefunden und lässt die Szenerie in unwirklichem Orange erstrahlen. Und das Holzpferd, das sich langsam um sich selbst gedreht hat, treibt plötzlich wieder in die Richtung, aus der es gekommen war. Und der Wasserstand des Flusses steigt zügig am Ufer hinauf wie ein Zeitrafferfilm des Tidenhubs. Doch das Pärchen im VW-Bus nimmt von alledem nichts wahr. Jetzt ist alles still. Sie rauchen Ganja und starren wie gebannt in die atemberaubende Farbenpracht der Sonne. Unser Soundtrack ist »Can’t Find My Way Home« von Blind Faith, und der
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