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Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut
Autoren: Colin Cotterill
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das Brechen. Ich kann nur graben.«
    »Mach schon, Junge! Sieh es dir an! Es ist total verrostet. Man könnte glatt ein Loch reinniesen.«
    »Ich weiß nicht, Old Mel. Der Werkzeugverschleiß. Die ganze zusätzliche Zeit …«
    Da lernte Mel seine Lektion. Eine Delle im Kopf hatte unter Umständen keinerlei Auswirkungen auf das erpresserische Talent junger Männer.
    »Na gut, pass auf! Ich bezahl dich nicht dafür, dass du irgendwo anders den nächsten Brunnen anfängst. Wieso sagen wir nicht einfach … wie viel? Fünfzig Baht extra? Was meinst du?«
    Damit war die Diskussion beendet. Eifrig schlug der Neffe mit der Brechstange auf die Metallplatte ein. In Vorfreude auf weitere fünfzig Baht arbeitete er wie ein übereifriger Dosenöffner. Er stand mitten in der Grube und meißelte sich durch das Blech. Genau wie Mel hatte auch er wahrscheinlich erwartet, er würde ein rundes, rostiges Stück herausnehmen und könnte darunter ungestört weitergraben. Er war davon ausgegangen, dass sich unter dem Metall fester Boden befand. Vermutlich hätte er nicht einmal in seinen wildesten Träumen dieses zähneknirschende Knarren erwartet oder dass das Metall, auf dem er stand, wie eine Falltür nachgeben würde. Für den Bruchteil einer Sekunde schien er in der Luft zu hängen, dann stürzte er in dunkle Leere.
    In der heißen Morgenluft zog sich die Stille wie warmer Nudelteig. Vögel und Grillen hielten den Atem an. Über ihnen hingen Wolkenfetzen. Mel beugte sich leicht vor, um einen Blick in die Grube zu werfen, doch er sah nur Schwarz. Er wusste nicht mehr, wie der Junge hieß, also rief er irgendwas.
    »Alles okay da unten?«, fragte er. Dann, als ihm bewusst wurde, dass der Schacht vielleicht sehr tief war, rief er lauter: »ALLES OKAY?«
    Es kam keine Antwort.
    In einer Reihe von Ländern rund um den Globus gibt es etwas, das man als südliches Temperament bezeichnet. Thailand bildet da keine Ausnahme. Sicher hätte Old Mel weglaufen und um Hilfe rufen können. Er hätte laut an die alte Blechwanne schlagen können, die vom Balkon hing, oder die zwei Kilometer zum nächsten Münztelefon laufen. Aber er war Südländer. Er brach einen Grashalm ab und kaute darauf herum, während er auf dem Betonrohr saß und in den Abgrund blickte. Da gab es einiges zu bedenken. Vielleicht war es im Grunde ein Segen. Er überlegte, ob sie möglicherweise auf einen alten Brunnenschacht gestoßen waren. Es würde ihnen viel Zeit ersparen. Aber er hatte kein Platschen gehört. Vermutlich war alles trocken. Das war Pech.
    »Junger Mann?«, rief er noch einmal, eher halbherzig.
    Noch immer keine Antwort.
    Mel fragte sich, welcher Zeitraum wohl angemessen war, bevor man sich Sorgen machen musste. Schon schmiedete er an einem Plan herum. Geh rüber zum Schuppen. Hol ein Seil. Binde es an den Zaun. Lass es in das Loch hinunter und … Doch da war das Problem mit seinem Rücken. Das würde nichts werden. Er musste Gai, seinen Nachbarn, rufen, um …
    »Old Mel!«
    Die Stimme klang seltsam, hallte wie die einer einsamen Sardine in der Dose.
    »Old Mel. Bist du da?«
    »Was treibst du da unten?«, fragte Mel. »Sitzt du fest?«
    »Nein, nein. Mir ist nur gerade die Luft weggeblieben, aber ich hatte Glück. Ich sitze auf … einem Bett.«
    »Du hast bestimmt eine Gehirnerschütterung, Junge. Du brauchst einen …«
    »Nein. Ich sitze auf einem Bett. Wirklich wahr.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich kann die Federn spüren.«
    »Pflanzenwurzeln, Junge. Kann man leicht mit Bettfedern verwechseln.«
    Mel dachte, dass eine Gehirnerschütterung bei diesem Jungen keinen großen Unterschied machen würde.
    »Okay, hör zu. Ich muss Hilfe holen«, sagte er.
    »Ich glaube, ich kann mich selbst befreien, Old Mel. Ich sitz nicht weit vom Loch. Ich sehe es direkt über mir.«
    »Bist du verletzt?«
    »Nein, aber mein Hemd ist an einer Feder hängen geblieben. Du solltest runterkommen und es dir ansehen. Es ist ganz merkwürdig, Old Mel. Und je mehr sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen, desto merkwürdiger wird es.«
    »Was kannst du erkennen, Junge?«
    »Fenster.«
    Old Mel schnaubte. »Du sitzt auf einem Bett und bist von Fenstern umgeben? Klingt ja fast, als wärst du auf ein unterirdisches Schlafzimmer gestoßen. Eher unwahrscheinlich, oder?«
    Er überlegte, wo die nächste psychiatrische Notaufnahme sein mochte. Ob die normale Krankenversicherung für monatlich dreißig Baht auch für eine Analyse aufkam.
    »Und da ist …«, begann der
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