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Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut
Autoren: Colin Cotterill
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Ach, ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen soll!
    Was für eine Karriere ich vor mir hatte! Mein Name, Jimm Juree, war in ganz Thailand ein Synonym für vorbildliche Kriminalreportagen. Nicht einmal die schlichte Kost, die übrig blieb, nachdem die Medusa über mich hergefallen war, konnte von meiner offensichtlichen Affinität zu meinem Job ablenken. Man respektierte mich. Fast saß ich schon auf dem Ledersessel des leitenden Kriminalreporters. Saeng Thip konnte seine Aufgabe kaum noch erfüllen, und alle wussten, dass es um seine Gesundheit nicht gut bestellt war und ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Man gab ihm noch ein halbes Jahr. Dann wäre ich dran. Man musste mich nur noch abnicken. Die erste Leitende Kriminalreporterin in der Geschichte der Chiang Mai Mail . Landesweit erst die zweite. Ich. Auf Höhenflug.
    Und dann, eines heißen Frühabends im August letzten Jahres, stand mein kleiner Reispapierballon plötzlich in Flammen und stürzte ab. Offenbar hatte ich den entscheidenden Leuten in einem früheren Leben nicht genug Schmiergeld gezahlt. Obwohl die Beteiligung unserer Mutter – Mair – an der ganzen Sache nicht zu leugnen war, behauptete sie nach wie vor, es sei Schicksal gewesen. Sie sprach von »Karma«, aber es kann wohl kein Zufall gewesen sein, dass sie den Buddhismus etwa zur selben Zeit für sich wiederentdeckte, als sie dement wurde.
    Dieser Abend vor ziemlich genau einem Jahr hat sich für alle Zeit auf die DVD meiner Seele gebrannt. Sie läuft ununterbrochen, selbst wenn ich aus bin. Ich sehe die Bilder. Höre den Soundtrack. Ich weiß genau, bei welcher Szene der Film stehen bleibt, mit dem Ausdruck abgrundtiefen Entsetzens auf meinem Gesicht.
    Ich hatte einen erfolgreichen Tag gehabt, was alles nur noch schlimmer machte. Ich meine, einen echt erfolgreichen Tag. In Maerim war ein alter Mann tot aufgefunden worden, dem jemand mit einer Stiftpistole in die Schläfe geschossen hatte. Die Polizei verhaftete den Teenager von nebenan, der als Unruhestifter bekannt war und an der Schulter die Tätowierung eines gepfählten Kätzchens trug. Ich hatte schon früher mit ihm zu tun gehabt. Ich wusste, dass er ein Teufelsbraten war, hatte aber meine Zweifel, dass er einen Mord begehen würde. Dafür muss man dann doch ein gänzlich anderer Mensch sein.
    In den letzten dreizehn Jahren hatten seine Großeltern ihn mehr schlecht als recht aufgezogen, seit seine Mutter, ein Barmädchen, ihn sitzen gelassen hatte und spurlos verschwunden war. Augenscheinlich waren sie der Aufgabe ebenso wenig gewachsen gewesen wie bei ihrer Tochter. Ich interviewte die Großeltern. Die Polizeiakte war offiziell geschlossen, und der Junge stand vor einem langen, düsteren Tunnel, der ihn am Ende wegen Mordes in einem Gefängnis für Erwachsene ausspucken würde. Er hatte den alten Mann vor Zeugen bedroht, und die Polizei hatte die Tatwaffe unter seiner Matratze gefunden. Sie suchten gar nicht weiter. Bitterarme Familie. Kein Geld für einen Anwalt. Ein hübscher Erfolg für die Statistik dieses Monats. Die Großmutter war außer sich – stand für einen Kommentar nicht zur Verfügung. Aber der Großvater wirkte irgendwie nervös. Er war der Trinkkumpan des alten Mannes gewesen. Sie waren schon seit der Grundschule befreundet. Ich hätte seine knurrigen Antworten und den Mangel an Blickkontakt auf eine Angina Pectoris oder den Umstand zurückgeführt, dass er seinen besten Freund verloren hatte, aber ich spürte, dass da noch was anderes sein musste. Er war ein Mann, der reden wollte.
    Ich ging zum Getränkestand an der Ecke und kam mit einer halben Flasche Mekhong-Whiskey zurück. Ich schlug vor, auf den Verblichenen anzustoßen und ihm auf dem Weg durchs Nirwana zur nächsten Inkarnation alles Gute zu wünschen. Hoffen wir, dass es ihm dort besser ergeht. Der Großvater schenkte ein, ohne ein Wort zu sagen. Seine Hand zitterte leicht, als er mir mein Glas reichte. Er hob seinen Drink an die Lippen, hielt ihn dort. Er roch daran und blickte in die glasig braune Flüssigkeit, als könnte er darin sein Gewissen sehen.
    »Wir waren an diesem Abend betrunken«, sagte er mehr zum Whiskey als zu mir.
    Ich ließ mein Glas sinken, um ihm zuzuhören.
    »Wir haben uns oft betrunken, aber dieser Abend war verrückter als sonst. Er kam gerade aus Fang zurück, mit einem halben Dutzend Flaschen Fusel und diesem verfluchten Amulett. Er meinte, er hätte es jemandem vom Stamm der Akha aus den Bergen abgekauft. Er meinte, es besäße
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