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Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut
Autoren: Colin Cotterill
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einen Weg hindurchsägen, bevor ich wieder sprechen konnte. In diesem Moment passte nichts Tiefschürfendes.
    »Wie lautete die Antwort auf die Ameisenfrage?«, fragte ich. »Wollen sie unabhängig sein? Das frage ich mich auch manchmal.«
    Sie lachte.
    »Er meinte, ich sollte Geduld haben. Irgendwann wäre ich eine Ameise und könnte die Frage selbst beantworten.«
    Die Tränen kamen langsam wie Kerzenwachs. Seit ich aus Chiang Mai weggezogen war, hatte ich mich in eine echte Heulsuse verwandelt. Ich schämte mich und wollte schnell weg. Doch bevor ich gehen konnte, machte sie die Tür zu ihrer Hütte auf und winkte mich hinein.
    »Ich hatte gehofft, Sie könnten mir einen kleinen Gefallen tun«, sagte sie.
    In einem Pappkarton am Fuße ihres Betts lag ein weißes Fellbündel, reglos wie ein Hermelinhandschuh. Sie griff hinein und hob es vorsichtig heraus. Es war Reisbällchen, schlaff wie eine Handpuppe.
    »Er ist noch nicht ganz tot«, sagte sie. »Ich fürchte, er könnte etwas verschluckt haben. Täglich kommen und gehen hier Hunde, aber diesen kleinen Racker habe ich ins Herz geschlossen. Ich glaube nicht, dass ich es ertragen kann, ihn sterben zu sehen.«
    Die Dämme brachen, als ich den Pappkarton zum Pick-up brachte. Ich fand es schrecklich, bei Tageslicht zu weinen, wenn jeder meine Zerbrechlichkeit sehen konnte. Ich stellte das sterbende Reisbällchen auf den Beifahrersitz und raste wie eine Geisteskranke nach Lang Suan zu Dr. Somboom, dem Kuhspezialisten.
    Eine Stunde später hielt ich vor Mairs Laden an. Ihre ganze Spuktruppe war da drinnen versammelt. Sie stellten die Regale um und putzten und warfen zehn Jahre alte Ware raus. Der Kassettenrekorder spielte einen Song mit dem Titel »Spirit in the Sky«. Es war einer von Mairs Lieblingsoldies, und die Damen des Dorfs schwangen ihren jeweils üppigen Hintern im Rhythmus der Musik. Alle machten einen glücklichen Eindruck. Ich ging zur Beifahrerseite des Pick-ups und nahm meinen Bierkarton.
    »Was hast du da in dem Karton?«, hörte ich.
    Opa Jah saß unter dem Baldachin auf der anderen Straßenseite und wartete auf Autos, damit er den Verkehr im Auge behalten konnte. Ich trug meinen Patienten über die Straße und setzte mich neben ihn.
    »Fast toter Hund«, sagte ich.
    »Du möchtest ihn verkleiden, was?«
    Das kam einem Scherz näher als alles, was ich seit Jahren aus Opa Jahs Mund gehört hatte, und wenn es nach mir ginge, wollte ich auch gern noch mal so lange auf den nächsten warten.
    »Na ja, dass er wirklich stirbt, ist nicht gesagt«, entgegnete ich. Ich klappte den Karton auf, um ihm das Knäuel zu zeigen.
    »Bist du sicher?«
    »Ich war mit ihm beim Tierarzt. Gewissheit konnte er mir nicht geben. Anscheinend ist er der Ansicht, dass in dieser Gegend neunzig Prozent aller Welpen aufgrund von Darmparasiten zugrunde gehen, bevor sie ein halbes Jahr alt sind. Er hatte so was wie einen Cocktail, der bei Kälbern angeblich Wunder wirkt. Den hat er dem Kleinen hier gespritzt, meinte aber, das Tier müsste eigentlich eine Tropfinfusion bekommen, nur hatte er leider keine da, und selbst wenn er eine gehabt hätte, könnte er nur Adern finden, die mindestens so dick wie Gartenschläuche waren. Er hat mir Antibiotika mitgegeben, für den Fall, dass der arme Wurm den Nachmittag überlebt.«
    »Seit wann bist du unter die Hunderetter gegangen?«
    »Opa, das ist Reisbällchen. Er ist ein Held. Er hat das Geheimnis von wat Feuang Fa gelüftet. Er ist der kleine Kläffer, der den Fotoapparat in Sicherheit gebracht hat. Er hätte ein längeres Leben verdient.«
    »So gesehen.«
    Eine Weile saßen wir einfach nur da. Es war ein wirklich schlechter Tag, was den Verkehr anging.
    »Opa Jah?«
    »Hmm?«
    »Hast du Captain Waew mal getroffen?«
    »Wen?«
    »Den Detective aus Surat.«
    »Ach, den. Nein.«
    »Du solltest ihn mal einladen. Zu Besuch.«
    Opa Jah wurde starr. Bei einem Mann, der ohnehin zu achtzig Prozent aus Knochen bestand, war das erstaunlich.
    »Warum sollte ich?«
    »Weil ihr so ein gutes Team seid.«
    Er wandte sich mir halb zu, betrachtete den Karton auf meinem Schoß, dann wandte er sich wieder ab. »Keine Ahnung, wovon du redest«, sagte er mit knurrendem Unterton.
    »Gestohlener Milo-Schokomilch-Lieferwagen, Fingerabdrücke beseitigt, nackter Gangster an Bahnhofsbank gekettet. ›Zu Recht‹ – sa som mit Tierblut auf den Bauch geschrieben. Klingt vertraut?«
    »Glaubst du etwa …?«
    »Ja, tu ich. Ich denke mir, ihr wolltet ein Geständnis
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