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Verführer oder Gentleman? (German Edition)

Verführer oder Gentleman? (German Edition)

Titel: Verführer oder Gentleman? (German Edition)
Autoren: Helen Dickson
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1. KAPITEL
    London – Sommer 1817
    D as Fleet-Gefängnis ragte beängstigend empor. Unwillkürlich zog Juliet ihren Umhang enger um die Schultern und erschauerte, als sie das wuchtige Tor erreichte und eingelassen wurde. Wie sie dieses Gebäude hasste … Der Wachtposten kannte sie von ihren wöchentlichen Besuchen her und führte sie durch die Eingangshalle, am Büro der Wärter vorbei, zur Zelle ihres Bruders. Nachdem sie ihm die erforderliche Münze gegeben hatte, die er hastig einsteckte, drehte er den Schlüssel im Schloss herum.
    Offenbar im Tiefschlaf, lag Robby auf der schmalen Pritsche. Verärgert über die Trägheit ihres Bruders, rüttelte Juliet unsanft an seinem Arm.
    „Wach auf, Robby!“
    Mit achtundzwanzig war ihr Halbbruder fünf Jahre älter als sie. Doch die Gefangenschaft zehrte an seinen Kräften, und nun musste sie stark sein, ihm beistehen, ihn trösten, sein Leid lindern. Denn trotz seines demonstrativen Gleichmuts spürte sie seine Verzweiflung, den Zorn gegen sich selbst, nachdem er so tief gesunken war.
    Zu ihrer Erleichterung bewegte er sich wenigstens. Die Lider in seinem hageren Gesicht flatterten. Verwirrt schaute er sich um, als würde ihn sein Aufenthalt im Gefängnis überraschen. Dann entdeckte er sie, und seine Augen leuchteten voller Freude auf.
    „Juliet! Ich muss eingenickt sein.“ Hastig schwang er die Beine über den Bettrand, richtete sich auf und strich sich durchs blonde Haar.
    Weil er über seine Verhältnisse gelebt und eine fragwürdige Chance hatte nutzen wollen, saß er jetzt im Fleet. Der Vater hatte ihm alle Möglichkeiten geboten. Nach dem Abschluss seines Studiums bekundete Robby eine heftige Abneigung gegen die Geisteswissenschaften und gab die Stellung eines Geschichtslehrers an einer renommierten Knabenschule in Surrey auf. An seinem einundzwanzigsten Geburtstag trat er ein kleines Erbe mütterlicherseits an und reiste mit einigen Freunden durch Europa. Nachdem er sein Geld ausgegeben hatte, kehrte er nach Hause zurück.
    Mit geistreichem Witz und jungenhaftem Charme begabt, zudem arrogant und eigensinnig, führte er auch weiterhin das Leben eines reichen, weltgewandten Gentleman, verbrachte seine Nächte mit Zechgelagen und lud seine Freunde viel zu großzügig ein. Er sah sehr gut aus. Zumindest schienen die Damen das zu finden, denn sie umschwirrten ihn wie Motten das Licht. Und er hatte sie mühelos umgarnt. Bis er schließlich wegen seiner enormen Schulden hinter Gittern gelandet war.
    „Also wirklich, Robby, du solltest arbeiten, statt an diesem grässlichen Ort dem Müßiggang zu frönen.“ Angewidert rümpfte Juliet die Nase, entsetzt über den Gestank, der aus allen Ecken der Zelle drang.
    „Natürlich will ich hinaus in die Freiheit“, murmelte er. „Aber was soll ich tun?“
    Juliet legte ein Bündel auf den Tisch. „Da, ich habe dir was zu essen gebracht. Brot und Käse. Und ein paar Bücher, damit du dir die Zeit vertreibst.“
    Liebevoll lächelte er sie an. „Ach, du und deine Bücher, Juliet … Was würdest du nur ohne sie machen?“
    „Keine Ahnung. Was würden wir beide machen? Wegen meiner Liebe zur Literatur und dank des Unterrichts, den ich unserem Vater verdanke, kann ich Geld verdienen. Selbst wenn du darüber spottest – meine Fähigkeiten ermöglichen mir, die Wärter zu bezahlen, die dir gewisse Vergünstigungen bieten. Und weil ich dich aus diesem schrecklichen Gefängnis holen möchte, muss ich noch fleißiger arbeiten.“
    Zerknirscht senkte Robby den Kopf. „Tut mir leid, Schwesterchen, ich weiß, wie du dich abrackerst, um die kleinen Annehmlichkeiten zu finanzieren, die ich hier genieße. Dafür bin ich dir dankbar – und stolz auf dich. Das wäre auch Vater, würde er noch leben. Du bist so klug und tüchtig … Wie geht es Sir John?“
    „Deshalb kam ich hierher, um dir das zu erzählen. Ich habe meine Stellung bei ihm gekündigt und eine neue außerhalb von London gefunden.“
    „Dann wirst du beschäftigt sein und mich nicht mehr besuchen.“
    In seiner Stimme schwang bittere Enttäuschung mit, die ihr Herz rührte. „Nicht zu beschäftigt. Und das Haus liegt nicht allzu weit entfernt. Ich werde für den Duke of Hawksfield in Essex arbeiten. In der ersten Zeit kann ich dich nicht besuchen. Aber ich schreibe dir.“
    Robbys Verblüffung wurde sehr schnell von Sorge verdrängt. „Meinst du Dominic Lansdowne?“
    „Ja, ich glaube, so heißt er.“
    „Ausgerechnet Dominic Lansdowne!“
    „Kennst du
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