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Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut
Autoren: Colin Cotterill
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gefunden. Vermutlich hätte ich es dabei belassen können, wäre da nicht die Erinnerung an den Fahrer und seine Freundin gewesen, die reglos auf ihren Sitzen saßen. Irgendwo gab es Familien, die sich fragten, was aus ihren Lieben geworden war. Was war mit ihren Seelen? Ich weiß. Das klingt nicht nach mir, oder? Aber das ewige Rumhängen in Tempeln … na ja, irgendwas muss da wohl abfärben.
    Ein blöder Spruch, der mir immer wieder durch den Kopf ging, war das, was die alte Chinesin an dem Tag gesagt hatte, als ich von ihr wissen wollte, wieso sie das Stück Land verkauft hatte. Selbst angesichts ihres schlechten Thailändisch klang es immer noch wie eine Zeile aus einem zweitklassigen Kung-Fu-Film: »Menschen, die Vergangenheit und Zukunft verbinden, erfahren vielleicht etwas über Gegenwart.« Ich hatte schon daran gedacht, wieder rüber nach Ranong zu fahren und mit einem Baseballschläger aus ihr herauszuprügeln, was sie damit meinte, aber das war an einem der sehr seltenen Tage, an denen es bei uns rotes Fleisch gab.
    Also begann ich mit der Vergangenheit. Ich wusste bereits, dass das Land um uns herum vor dem Bau der Brücke über den Fluss kaum erschlossen war. Bevor sich die Shrimps-Farmen ansiedelten, wuchsen hier noch Mangroven, und die ganze Gegend war von dichter Vegetation überwuchert. Riesige Ländereien wurden von thaichinesischen Spekulanten aufgekauft, die darauf warteten, dass die Zeit verging, was unausweichlich geschehen würde. Es gab keine befestigten Straßen, und Siedlungen fanden sich nur an der Küste. Die Kokos- und Palmenplantagen sollten erst noch kommen. Als es so weit war, gehörte Old Mel zu den Pionieren, und ich musste mir bildlich vorstellen, wie die Landschaft damals aussah, als er mit seiner Familie hierhergezogen war.
    Das Grundbuchamt gehörte zu einem Pulk schlichter Regierungsgebäude um das Stadion von Lang Suan herum – Fassungsvermögen zwölftausend, größtenteils Stehplätze. Das Amt befand sich in einem von zahlreichen ramponierten Bauten, die nicht schon wieder weiß gestrichen werden wollten. Jeder konnte in den ersten Stock spazieren und sich die quadratmetergroßen Pläne ansehen, auf denen die Parzellen und deren Grenzen eingezeichnet waren. Die beiden Grundstücke, die ich suchte, waren deutlich erkennbar mit ihren momentanen Grenzen eingetragen. Ich sah, wie sie sich in das allgemeine Landkauf-Mosaik einfügten. Hätte ich gewollt, hätte ich nach den Namen sämtlicher angrenzender Landbesitzer fragen können und deren Daten bekommen. Das Grundbuchamt tat alles dafür, dass die Schollen gekauft und weiterverkauft wurden.
    In einem Hinterzimmer gab es große Papprollen, die ältere und immer ältere Versionen dieser Pläne enthielten. Ich grub tief und fand mich in den Achtzigerjahren wieder, wo ich auf die Grundstücksaufteilung vor dem Verkauf durch die Chainawats stieß. Es gab zwei interessante Unterschiede in den umliegenden Parzellen. Zum einen waren diese erheblich größer. Damals hatten die Immobiliendämonen noch nicht damit begonnen, ihre Parzellen aufzuteilen, zu zocken und sie zu überhöhten Preisen zu verkaufen. Zweitens fiel mir auf, dass sich fast alle Parzellen an einer langen, durchgehenden Grenze orientierten, als hätte jemand wahllos eine ungleichmäßige Linie quer durch die Karte gezeichnet und allen gesagt, sie sollten auf der einen oder anderen Seite bleiben. Ich fragte die Sekretärin, woran das lag, aber sie war jung und interessierte sich mehr für ihre Fingernägel. Sie meinte, ich sollte mal einen Blick auf die geologischen Karten der Gegend werfen.
    Meine Suche führte mich zu Professor Woot Juntasa beim Geologischen Institut der Mae-Jo-Universität. Es war ein hübscher, aber unbedeutender Campus der Mutter Mae Jo in Chiang Mai, und immer wenn ich daran vorbeikam, wirkte er menschenleer. Der Tag meines Besuchs bildete da keine Ausnahme. Ich lief von einem Gebäude zum nächsten, auf der Suche nach jemandem, der mir den Weg zum Büro des Professors weisen konnte. Das erste menschliche Wesen, das ich fand, war der beleibte Professor selbst. Sein Gesicht war eine rot glänzende Maske, die auf entweder zu viel Feldforschung in der Mittagssonne oder auf Hautausschlag hindeutete. So oder so hatte ich das Gefühl, er wäre auf einem Campus in Skandinavien glücklicher gewesen. Selbst bei den finnischen Temperaturen aus seiner Klimaanlage kämpften sich seine Achselhöhlen durch einen tropischen Dschungel. Seine Augenbrauen saßen
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