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Der Tote im Grandhotel

Der Tote im Grandhotel

Titel: Der Tote im Grandhotel
Autoren: Eva Bellin
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fühlte
    sich merkwürdig angespannt. Es war eher ein Fluchtinstinkt als der Wunsch nach Klarheit. Geh und kümmere dich um gar nichts.
    Hake die Geschichte ab. Lege sie ab unter der Rubrik ›Erinnerungen‹.
    Er klopfte. Man kehrte nicht um, das würde man sich nie ver-
    zeihen. Er horchte. Klopfte noch einmal. Gedankenlos drehte er
    am Türknopf. Die Tür war ja gar nicht geschlossen.
    Als er leicht dagegendrückte, öffnete sie sich zu einem Drittel und gab den Blick frei auf etwas, das Richard einen Augenblick
    lang nicht glauben wollte. Was er sah, mußte eine überspannte
    Reaktion seiner Nerven sein.
    Zwei hellgrüne Sessel waren umgekippt. Einer davon war mit Platschen roter Farbe und hellgrauem Schaum befleckt. Hinter diesem Sessel lugten auf dem grauen Velours des Bodens zwei Beine in
    schwarzen Hosen und schwarzen Schuhen hervor. Solche Beine gab
    es in Scherzartikelgeschäften zu kaufen. Richard wußte das, weil er einmal gegen Abend beim Joggen im Park selber beinahe darauf
    hereingefallen war.
    Die Beine hatten in der Dämmerung aus dem Gebüsch auf den
    Weg hinausgeragt. Er hatte sie für die Beine eines Toten gehalten und schon im Lauf gestockt, als er Kichern und Prusten von Kin-derstimmen aus dem Gebüsch hörte. Er war weitergelaufen, aber
    der Schreck hatte noch nachgewirkt, seinen Puls beschleunigt und Leere im Kopf hinterlassen.
    Wie jetzt. Aber diesmal war es Wirklichkeit, da gab es keinen
    Zweifel. Er stockte, schaute den Gang in beiden Richtungen ent-
    lang, sah sich sozusagen selbst zu, als er nun vorsichtig eintrat und die Tür schloß, gesteuert ausschließlich von seinen Instinkten.
    13
    Er erblickte den toten Mann. Er wunderte sich, daß er nicht stärker entsetzt war. Ein Mann ohne Gesicht. Er lag auf dem Rücken
    in einer Blutlache, die das karierte Jackett, die Hose, die Socken durchtränkte. Der Sessel war mit dem vollgespritzt, was wohl einmal sein Kopf gewesen war. Er hatte nur noch einen Rest davon.
    Eine furchtbare Hinrichtung hatte hier stattgefunden.
    Wer immer es getan hatte, er war auf Nummer Sicher gegangen:
    Keine Chance für den Delinquenten. Und für Britta? Die Erkennt-
    nis stürzte auf Richard ein: Sie mußte irgend etwas mit der Sache zu tun haben!
    Er zwang sich, sich umzuschauen, weiterzugehen. Die Beine woll-
    ten ihm den Dienst versagen. Er räusperte sich und sagte vorsichtig:
    »Britta!«
    »Britta? … Britta!« Seine Stimme wurde lauter. Wie ein Roboter
    marschierte er ins Bad. Da lag ihr Negligee auf dem Hocker. Ein Duft von Parfüm hing im Raum. Keine Britta.
    Richard ging ins Schlafzimmer, schaute in den begehbaren An-
    kleideschrank. Dort hingen und lagen ihre Sachen, natürlich konn-te er nicht feststellen, ob sie vollständig waren. Auf der Bank für das Gepäck standen Brittas nachgemachter Vuitton-Koffer und die Reisetasche.
    Britta war also nicht da. Weder lebendig noch tot. Erst jetzt ging ihm auf, daß er selber in Gefahr schwebte. In Gefahr, hier entdeckt, erkannt, hineingezogen zu werden in eine finstere Mordgeschichte, die begonnen hatte als federleichte Affäre. Die konnten ihn gar für den Täter halten! Bestenfalls wäre er entlarvt als Herr auf Abwegen, Seitenspringer unter falschem Namen im zweifelhaftesten Milieu.
    Lucie würde ihm das nie verzeihen!
    Sie würde ihn fallenlassen wie eine heiße Kartoffel, das stand eisern fest. Sie würde ihn abschaffen wie einen Hund, der plötzlich bissig wird. Es wäre sein Ruin! Die Boulevardpresse schlägt zu. Seine unfehlbaren Geschäftspartner distanzierten sich von dem Auf-
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    steiger, dem sie nie getraut hatten. Solche Fälle klamüserten sich Drehbuchautoren aus, aber hier war die Hauptrolle mit ihm be-setzt, mit Richard Hornung ganz persönlich. Wenn er nicht auf-
    paßte!
    Augenblicklich spürte er den Adrenalinstoß. Neue Kraft. Sich
    umschauen. Handeln. Zwei Schritte bis zur Tür. Vorsichtig auf den Gang hinausspähen. War jemand vorbeigekommen? Nein, wohl
    nicht. Von links schob gerade ein Zimmermädchen ihren Wagen
    mit frischen Handtüchern, Bettwäsche und Putzmitteln in seine
    Richtung und parkte ihn drei Türen weiter.
    Er zog die Tür leise von innen zu, wartete etwas, sah vorsichtig abermals hinaus. Der Wagen stand da. Sie war verschwunden. Richard trat aus der Tür, wischte eilig den Knauf, den er berührt hatte, mit seinem Staubmantel ab, zog die Tür zu, achtete darauf, daß
    ›Bitte nicht stören‹ wieder lesbar war, hastete den Gang entlang, die Treppen hinunter, sie waren
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