Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tote im Grandhotel

Der Tote im Grandhotel

Titel: Der Tote im Grandhotel
Autoren: Eva Bellin
Vom Netzwerk:
leer, alle ordentlichen Leute fuhren im Aufzug. Er gehörte zur Zeit nicht dazu.
    Irgendwo gab es in jedem Hotel Hinterausgänge. Er kannte von
    einem früheren Besuch her die Sauna im Keller. Von da aus konnte man ins Freie gelangen. Er ging durch den Heizungstrakt. Daneben schien die Wäscherei zu sein. Er trat möglichst sicher auf. Falls ihn jemand sah, konnte er ihn für einen Ingenieur oder einen kompe-tenten Hotelangestellten halten. Jedenfalls hoffte er das. Aber er traf zum Glück niemanden.
    Dann war er draußen, auf einem Hof, auf dem Lieferwagen und
    wenige Privatwagen parkten. Auch hier war niemand zu sehen. Es
    erschien ihm wie eine Fügung, ein Wunder, das Zeichen einer wohl-wollenden Macht.
    Auf der Straße brach ihm der Schweiß aus. Sein Magen revoltier-
    te. Er zitterte am ganzen Körper. Er war in Gefahr umzusinken.
    Mit großer Willensanstrengung zwang er sich zum Weitergehen.
    Nicht schlappmachen! Du hast nichts getan! Du hast etwas gese-
    15
    hen, aber nichts getan! Du konntest nicht helfen! Der Mann war
    tot. Also hast du nichts unterlassen. Britta ist fort. Sie ist entweder schon vor dem Mord ausgezogen, vielleicht zu einem anderen
    Mann, bestimmt ist sie da nicht heikel. Oder sie ist geflohen. Oder
    … tot? War sie in diese Geschichte verwickelt?
    Im Grunde wußte er wenig von Britta. Sie war entzückend im
    Bett. Das war's dann aber auch.
    Richard erschauerte. Der Tote in Nummer 316 erschien vor sei-
    nem inneren Auge, dieser furchtbar zugerichtete Mensch. Jetzt hieß es, egoistisch zu sein, klug und umsichtig zu reagieren, die eigene Haut zu retten. Das hieß vor allem: schleunigst aus Berlin zu ver-schwinden!
    Richard stieß auf einen U-Bahnhof und löste einen Schein. Er
    stieg mehrmals um, bis er schließlich den U-Bahnhof Zoo erreichte.
    Von da aus nahm er den Zubringerbus zum Flughafen, buchte den
    nächsten Flug nach Leipzig, wartete fast gedankenlos und völlig erschöpft auf den Abflug.
    Im Flugzeug bestellte er sich einen Cognac, und als die Stewar-
    deß ihm das Glas reichte, zitterte seine Hand. Seine Nachbarin sah ihn auf diese Weise an, mit deren junge Frauen Tattergreise beden-ken. Eher abfällig als mitleidig. Blöde Zicke. Noch vor sehr kurzer Zeit hatte eine Jüngere, viel Hübschere in seinen Armen gezittert.
    In Leipzig fuhr Richard mit einem Taxi ins Hotel. Er nahm sei-
    nen Schlüssel in Empfang und begab sich auf sein Zimmer, von wo aus er zu Hause in Rendsburg anrief. Lucie war nicht da. Gina flö-
    tete, sie werde bestellen, daß alles in Ordnung sei.
    »Wiederseh'n, Herr Hornung, schönen Tag noch!«
    Alles in Ordnung! Schönen Tag noch! Warum nicht? Er war ge-
    rettet. Die winzigen Flaschen im Barschrank reichten nicht aus zur Feier. Er ließ sich eine Flasche Whisky aufs Zimmer bringen und trank ihn ohne Eis, mit großen, langen Schlucken.
    Einige Sekunden lang war ihm, als sei das alles gar nicht passiert.
    16
    Ein Traum, eine Erinnerung an eine Fernsehsendung vielleicht.
    Dann kehrte die Wirklichkeit mit vermehrter Kraft zurück. Er rannte ins Bad und übergab sich. Danach war ihm wohler. Er packte
    seine Reisetasche aus. Ein Wunder, daß er sie nicht in Panik irgendwo verloren oder vergessen hatte. Er duschte, zog sich um und bestellte ein Taxi. Dann fuhr er zu dem Kabelwerk, das er nach der Wende mit aufgebaut hatte. Es war wie zu Hause. Sie mochten ihn nicht, aber sie schätzten ihn. Besonders, seit man schwarze Zahlen schrieb. Es war richtig und wunderbar, jetzt normal weiterzuleben.
    So zu tun, als wäre nichts geschehen. Bis man selbst daran glaubte.
    2. Kapitel
    ritta war eingekeilt in dem grauen Mittelklassewagen. Links von Bihr saß der magere Dunkelhaarige mit der Stirnglatze, über die er einige fettige Strähnen verteilt hatte. Sie schätzte sein Alter auf fünfzig. Er war klein, aber drahtig, wie einer, der von Kind auf hart gearbeitet hatte.
    Rechts hockte der sehr junge Mann, fast noch ein Knabe, schwar-
    ze Locken wie ein Putto, sehr hübsch, mit großen, ängstlichen Augen. Der Schein trog, wie Britta wußte. Beide Männer waren Killer.
    Ein älterer Mann fuhr den Wagen. Auch er sah nicht gefährlich
    aus, wirkte so durchschnittlich, daß sich gewiß nie jemand an ihn erinnern konnte.
    Ja, sie waren gefährlich. Tödlich. Britta war steif vor Angst. Ein Eiszapfen. Deshalb zitterte sie auch nicht. Erstarrt, erfroren. Auch ihr Gehirn arbeitete nicht richtig.
    17
    Niemand sprach. Vorhin hatte ihr der Magere kurze Befehle zuge-
    bellt: Ganz still!
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher