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Der Tote im Grandhotel

Der Tote im Grandhotel

Titel: Der Tote im Grandhotel
Autoren: Eva Bellin
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ich jetzt überlege … ich hatte es wohl ver-
    drängt. Eltern sehen ihre Kinder ungern als sexuell gesteuerte Wesen, nicht wahr?«
    »Sie beherrschen die Theorie, nicht die Praxis.«
    Richard nickte.
    Lucie hatte zu Anfang ihrer Ehe ebenfalls die Theorie beherrscht und die Praxis bei ihm erlernen wollen.
    »Ich bin noch Jungfrau. Du mußt mir alles beibringen, Richard!«
    Er war erstaunt gewesen, wie wißbegierig, unbefangen und uner-
    sättlich sie anfangs gewesen war. Und so jung. Es hatte aufgehört, als sie schwanger wurde. Ihre ehelichen Zärtlichkeiten hatten sich friedlich eingependelt.
    Richard duschte und kleidete sich in seinem Schlafzimmer an:
    weißes Hemd, Weste im Paisley-Muster, bequeme graue Hose.
    Schwarze Socken zu schwarzen Slippern und selbstverständlich ein schwarzer Ledergürtel. Schuhe und Gürtel sollten immer in der Farbe zueinander passen. Das hatte ihm sein Lieblingsprofessor vorge-lebt. Er hatte ihn kopiert, wo es nur möglich war. Und immer noch fragte er sich in brenzlichen Situationen, was den Benimm anbe-langte: Wie hätte Prof. Wilke jetzt reagiert?
    Duschen und Umkleiden nach der Arbeit gehörten für Richard,
    den Sohn eines kleinen Beamten, zum Luxus, den er sich jetzt er-lauben durfte. Und zu diesem Wohlgefühl gehörte auch der Drink
    vor dem Essen, den Lucie und er im Wintergarten nahmen, wo Un-
    mengen tropischer Pflanzen Urlaubsstimmung vorgaukelten.
    Bei Tisch servierte Anton Brant die Mahlzeiten, die seine Frau
    Gerlinde kochte, buk und briet. Ehepaar Brant, das in einem Sei-tenflügel der Hornungschen Villa wohnte, sorgte für die Universal-betreuung seiner Arbeitgeber. Er chauffierte auch bei Bedarf. Sie 8
    leitete Putzfrau und Gärtner an, kümmerte sich um Einkauf und
    Küche, während ihr Anton für den Weinkeller zuständig war.
    Jetzt präsentierte Anton mit Grandezza die Hauptschüssel: Tafel-spitz, mit Gemüsen umlegt. Mit drei Saucen folgte ihm Gina, das Mädchen mit Abitur, das sich hier Geld für die Ausbildung zur
    Kunsttischlerin verdiente. Das sagte Gina jedenfalls. Sie war die Tochter eines Italieners und einer Deutschen, die mit neuen Part-nern lebten und sich nicht um ihre beiden Töchter kümmerten.
    Gina selbst scheute feste Bindungen und wohl auch ein festes Le-benskonzept.
    Richard konnte nie umhin, ihren besonders hübschen Po zu be-
    wundern, und sie wußte es und servierte ihn schnuckelig zu allen Mahlzeiten.
    Selbstverständlich hätte Richard niemals eine Liebschaft im eigenen Hause angefangen. Gina war wenig älter als Angela. Kein grundsätzlicher Hinderungsgrund. Aber nicht im Kirchspiel!
    »Ich war heute in der Kunstausstellung ›Neue Amerikaner‹«, be-
    richtete Lucie.
    »Und?«
    »Na ja. Immerhin gab es Warhols und Rauschenbergs. Man dach-
    te doch beinahe schon, sie wären nur Illustrationen in Zeitschriften.
    In natura sind sie eindrucksvoller. Zwei Koons waren da. Diese Por-zellangruppe, wo er mit seiner angetrauten Nymphe schläft. Jetzt sind sie längst geschieden, aber hier ist ihr Geschlechtsverkehr für eine Ewigkeit festgehalten.«
    »Merkwürdig. Diese kleine Prostituierte, die so viel von sich reden machte? Das Werk möchte ich nicht im Hause haben, obwohl es
    zumindest originell wäre.«
    »Ich mag Sachen nicht, deren Preis den Grad ihrer Wertschätzung bestimmt.«
    »Es sollte umgekehrt sein.«
    Friedliche Stimmung. Gepflegtes Heim. Gina räumte die Teller
    9
    ab. Von rechts. Anton stellte Schälchen aus Kristall für den Nach-tisch hin und brachte die Schale mit in Weißwein gedünsteten Pfir-sichen.
    »Ah, Pêche Cardinal«, sagte Richard und dachte: Wolf im Schafs-
    pelz! Du spielst hier heile Welt und kommst aus dem Bett der anderen. Duft und Schweiß der fremden Frau, nur oberflächlich abge-duscht.
    Und während er an Britta dachte, meldete sein Körper die Sehn-
    sucht nach ihr. Er mußte sie wiedersehen. Er brauchte es! Natürlich wollte er Lucie nicht verletzen, obwohl sie ihn manchmal mit ihrer kühl bestimmten Art zur Weißglut brachte.
    Nicht einmal sich selbst gestand er ein, daß er Angst vor Lucie hatte. Nicht im Bett, da war er immer noch der King. Aber auf anderen Gebieten dominierte Lucie. Sie war selbstsicher, spielte besser Golf als er, wußte, wen man wozu einlud und wen überhaupt nicht.
    Und sie heuchelte nicht, wenn es um guten Geschmack ging. Sie
    hatte ihn. In ihren Kreisen wurde man selbstsicher geboren.
    Sogar ein Dummkopf mit erstklassiger Kinderstube genoß mehr
    Ansehen als der tüchtige Kerl
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