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Der Tote im Grandhotel

Der Tote im Grandhotel

Titel: Der Tote im Grandhotel
Autoren: Eva Bellin
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Kein Wort! Wenn du schreist, bist du tot. Sie hatte sogar auf Kommando gelächelt, als sie durch die Hotelhalle geführt wurde.
    Niemand merkte etwas, keiner schöpfte Verdacht. In diesen gro-
    ßen Hotels bewegte man sich anonym. Das machte ja sonst auch
    gerade einen Teil ihres Reizes aus.
    Die Männer waren mit ihr ein Stückchen die Straße entlangge-
    gangen, fort aus dem Blickfeld des Hotelportiers. Sie wußte, daß an Flucht nicht zu denken war. Dann fuhr der Wagen vor. Sie stiegen ein. Die Menschen gingen ihrer täglichen Beschäftigung nach. Alles war normal. Wie sonst auch. Nur nicht für Britta Schirrmacher.
    Sie hatte eben einen Mord aus nächster Nähe mit ansehen müs-
    sen. Nun war sie in der Gewalt der Mörder. Warum nahmen sie die Zeugin mit? Hatten sie etwa Mitleid? O nein. Aber es mußte einen Grund geben.
    Britta kannte Berlin wenig, ihr sagten die Straßen nichts, durch die sie fuhren. Außerdem wagte sie auch nicht, an ihren Bewachern vorbei hinauszuschauen. Vielleicht hätte sie sonst aus den Augenwinkeln Straßenschilder erkennen können. Aber wozu? Es waren
    Mörder. Die gingen kein Risiko ein. Zwei von den Dreien waren jedenfalls Mörder. Britta hatte es mit angesehen.
    Der Wagen hielt. Der Magere stieg aus und bedeutete ihr durch
    ein Zeichen, sie solle ebenfalls aussteigen. Eine normale Wohn-
    straße. Niemand würde sich für das Grüppchen interessieren, das nun aus dem Auto stieg.
    »Maul halten«, sagte der Magere. Der Junge war ebenfalls schon
    auf dem Bürgersteig. Der Alte fuhr weiter.
    ›Seafood Murmansk‹, stand in schwungvoller Schrift über der
    Tür, zu der sie nun geführt wurde.
    Zwei Frauen mit Einkaufstaschen gingen vorbei. Sie plauderten
    miteinander. Britta hätte gern geschrien, aber sie nahm sich zusam-18
    men. Eine ältere Frau führte ihren Dackel an der Leine spazieren.
    Das Tier blieb stehen und sah Britta an. Die Frau mußte es energisch weiterzerren.
    Ein paar Häuser weiter war ein Laden für Surfing und Wasser-
    sportbedarf mit sehr bunt bemalten Schaufenstern und einem auf-
    getakelten Surfbrett vor der Tür. Die Sonne schien. Es war ein milder Spätsommertag mit knallblauem Himmel. Die Straßenbäume
    zeigten den ersten Anflug von herbstlichem Gelb nach dem langen, trockenen Sommer.
    Zu dem Seafood-Murmansk-Geschäft führten einige Stufen hoch.
    Hinter dem Schaufenster waren Pappkartons gestapelt. Es gab eine Verkaufstheke, auf der einige Kaviardosen in unterschiedlichsten Größen das einzige Angebot zu bilden schienen. Und es roch
    schwer nach Fisch und Muscheln und alten Pappkartons. Was um
    Himmels willen hatten diese Verbrecher hier zu suchen?
    Britta wurde durch den Laden geführt und einen anschließenden
    großen, völlig kahlen und unmöblierten Raum. Dann ging es durch einen Gang, eine Treppe hinunter, o Gott, ein Keller, eine Tür, die der Magere öffnete. Eine sehr helle Deckenleuchte wurde eingeschaltet, eine Glühbirne in der Fassung lediglich. Es war ein großer Raum. Die kleinen Fenster mit Ziegelsteinen zugemauert. Sparta-nische Einrichtung: ein Tisch, drei Stühle, ein Holzsessel mit Arm-lehnen, beinahe ein Thron. Dorthin dirigierte der Magere sie, hielt sie am Ellenbogen.
    Britta wurde plötzlich bewußt, daß ihre Blase übervoll war. Noch zwei Minuten, und sie würde sich naß machen. Noch nie hatte sie da lange durchhalten können. Der Drang, Pipi zu machen, übertraf an Intensität sogar ihre Angst.
    »Ich muß mal«, sagte sie kläglich.
    Der Magere reagierte nicht.
    »Ich muß sofort!« Sie merkte selber, daß ihre Stimme kickste.
    Der Magere trat dicht vor sie. Sie war daran gewöhnt, daß Män-
    19
    neraugen aufleuchteten bei ihrem Anblick. Diese nicht.
    »Halt's Maul!«
    »Ich muß aber!«
    Unversehens schlug er zu. Die Ohrfeige riß ihr den Kopf zur
    Seite. Das Trommelfell schien geplatzt zu sein. Tränen traten ihr in die Augen. Nun war es sowieso geschehen. An ihren Schenkeln
    breitete sich nasse Wärme aus.
    Der Unhold drückte sie auf den harten Sessel. Sie fühlte, wie ihre Wange anschwoll. Erst in diesem Augenblick ging ihr mit letzter Gewißheit der absolute Ernst ihrer Lage auf. Sie saß in einem wahrscheinlich schallisolierten Keller. Zwei Mörder bewachten sie. Der mit dem Revolver hinten im Hosenbund hatte ihr eben mit scheinbarer Belanglosigkeit gezeigt, daß er vor Gewalt ihr gegenüber nicht zurückschreckte. Und der mit dem Messer, der hübsche kleine
    Junge, der immer wieder zugestochen hatte vorhin, bevor der
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