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Der Tote im Grandhotel

Der Tote im Grandhotel

Titel: Der Tote im Grandhotel
Autoren: Eva Bellin
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aus dem Kleinbürgertum. Richard
    wußte, daß sie ihn ›Landei‹ und ›Erbschleicher‹ nannten, hinter seinem Rücken, aber nicht so leise, daß er es nicht vernommen hätte.
    Gewiß, er hatte sich durchgesetzt. Niemand schnitt ihn. Keiner
    schlug mehr diesen herablassend jovialen Ton an, den sie für Em-porkömmlinge parat hatten. Doch er konnte nicht wirklich sicher sein. Nie! Wenn etwas geschah, würden sie ihn fallenlassen. Wenn Lucie sich von ihm abwandte, konnte er sehen, wo er blieb.
    Aber es funktionierte ja. Er hatte allen Grund, mit sich zufrieden zu sein. Warum nur war er bereit, alles aufs Spiel zu setzen für diese kleine Abenteuerin, die er doch kaum kannte?
    Natürlich war es der Sex. Dieses ganz und gar Animalische. Das
    Stammhirn triumphierte. Kampf und Liebe hatten ihren eigenen
    Motor. Auch bei Lucie? Er konnte es sich nicht vorstellen.
    10
    »Ich gehe nachher zu meinem Bridge-Abend«, sagte sie gerade.
    »Dabei wollen wir auch gleich den nächsten Bazar für unsere Spastis besprechen.«
    Das war typisch Lucie. Sie engagierte sich in Wohltätigkeitsunter-nehmungen und sozialer Arbeit, und die Behinderten, die dort be-treut wurden, nannte sie ›Spastis‹. Das war irgendwie zynisch. Sie hatten eine erwachsene Tochter miteinander. Sie lebten zusammen, und doch wurde Richard nach all den Jahren nicht wirklich schlau aus ihr.
    Er wußte nicht warum, aber diese Bemerkung über ›ihre Spastis‹
    gab endgültig den Ausschlag für seinen Entschluß: Am Dienstag
    würde er nach Berlin fahren. Er würde Britta wieder in seinen Armen halten.
    Anton reichte die Pfirsiche herum wie ein Juwelier, der dem po-
    tenten Kunden seine Edelkollektion präsentiert. Gina schwänzelte mit dem Himbeerpüree hinterher.
    Den Mocea tranken die Hornungs im Wintergarten, wie immer.
    Lucie nahm eine der beiden langen, dünnen Zigaretten, die sie täglich rauchte. Richard gab ihr Feuer mit einem goldenen Feuerzeug, das er ihr einmal geschenkt hatte. Es war ein kleines Ritual.
    Beide wußten, daß Angela sehr viel rauchte, viel zu viel, aber sie sprachen nicht darüber. Was nicht erörtert wurde, existierte nicht.
    Ein Grundsatz, der von Lucie stammte. Sie hielten sich daran.
    Am Dienstag morgen landete Richard in Berlin Tegel. Er war gelassen und eher ein wenig unzufrieden als voller glücklicher Erwartun-gen. Das passierte ihm häufig, wenn die Erfüllung eines Wunsches nahe war. Aber er wußte, daß sich dieser Zustand bald ändern wür-de.
    Seinen Körper erfüllte schon eine Vorahnung. Die geschmeidige
    Frau in seinen Armen würde ihn auch seine Skrupel vergessen las-11
    sen: ein Ehemann auf Abwegen!
    Lucie hatte er erzählt, er sei in Leipzig. Sein Hotel dort war bereits gebucht. Nachher wollte er von Berlin aus zu Hause anrufen und so tun, als sei er schon in Leipzig eingetroffen. Lucie würde keinen Kontrollrückruf machen. Und in zwei oder drei Tagen wür-de er in Leipzig erreichbar sein. So einfach sah es aus.
    Er hatte seiner Frau bisher wenig Grund zu Eifersucht und Arg-
    wohn gegeben. Die Sache mit Britta war eine Ausnahme. Bribri
    würde bald zurückkehren nach New York. Die Affäre war zeitlich
    begrenzt.
    Er rief vom Flughafen aus im Grandhotel an. Es war klüger, wenn man angemeldet erschien.
    »Bitte Zimmer drei-sechzehn!«
    »Wen möchten Sie sprechen?«
    »Frau Hugendübel.«
    »Ich verbinde.«
    Eine Zeitlang lauschte er dem Summen in der Leitung, dann mel-
    dete sich die Männerstimme wieder: »Bedaure, es meldet sich niemand.«
    Richard war etwas enttäuscht. Doch wahrscheinlich schlief Britta noch fest um diese Zeit. Er wußte so wenig von ihr.
    Er nahm ein Taxi. Im Hotel sah der Mann an der Rezeption un-
    interessiert ins Leere. Richard schaute im Vorbeigehen flüchtig auf das Schlüsselbrett. Die Stelle für ›316‹ schien leer zu sein. Also war sie da. Denn sie würde doch wohl den Zimmerschlüssel mit dem
    dicken Knopf nicht irgendwohin mitnehmen?
    Er nahm den Aufzug. Das Hotel schien noch im Schlaf zu liegen.
    An der Tür von 316 hing das Schild mit der Seite ›Bitte nicht stö-
    ren!‹ nach oben.
    Tausend Gedankensplitter und Gefühle wirbelten ihm im Bruch-
    teil einer Sekunde durch Kopf und Herz. Was war? Schlief sie? War ein Kerl bei ihr? War sie umgezogen? Abgereist? Wohnte vielleicht 12
    schon ein anderer Gast hier? Wollte sie ihn nicht empfangen und hatte sich deshalb verbarrikadiert, nachdem das Telefon geklingelt hatte?
    Hirngespinste. Und trotzdem: Sein Herz schlug hart. Er
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