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Der seltsame Mr Quin

Der seltsame Mr Quin

Titel: Der seltsame Mr Quin
Autoren: Agatha Christie
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Die Ankunft des Mr Quin
     
    E s war Silvesterabend.
    Die älteren Mitglieder der Hausgesellschaft in Royston hatten sich in der großen Halle versammelt.
    Mr Sattersway war sehr froh, dass die jungen Leute zu Bett gegangen waren. Junge Leute in Herden mochte er nicht. Es mangelte ihnen dann an einer gewissen Feinheit, und je weiter das Leben fortschritt, desto größer wurde seine Vorliebe für gewisse Feinheiten.
    Mr Sattersway war zweiundsechzig: Ein kleiner, etwas gebeugter und ausgedörrter Mann mit einem aufmerksamen Gesicht, das seltsam zwergenhaft war, sowie einem heftigen und ausschweifenden Interesse für das Leben anderer Leute. Sein ganzes Leben lang hatte er, wie man so sagt, in der ersten Reihe gesessen und zugesehen, wie verschiedene Dramen der menschlichen Natur vor ihm abrollten. Er selbst hatte immer nur den Zuschauer gespielt. Jetzt allerdings, da das Alter ihn in seinen Klauen hielt, merkte er, dass er dem ihm vorgeführten Drama gegenüber immer kritischer wurde. Er verlangte etwas, das ein wenig vom Üblichen abwich.
    Es bestand kein Zweifel daran, dass er für diese Dinge eine Witterung, einen Spürsinn, besaß. Instinktiv wusste er, wenn die Bestandteile eines Dramas zusammengekommen waren. Wie ein Schlachtross witterte er es. Und seit seinem Eintreffen in Royston am gleichen Nachmittag hatte sich dieser seltsame innere Sinn wieder einmal bemerkbar gemacht und ihm zu verstehen gegeben, dass er sich bereithalten solle. Irgendetwas Interessantes spielte sich ab oder bereitete sich vor.
    Die Hausgesellschaft war nicht sehr groß. Da war einmal Tom Evesham, ihr großzügiger und gut gelaunter Gastgeber, sowie dessen ernste und politisch interessierte Frau, die vor ihrer Heirat Lady Laura Keen gewesen war. Anwesend waren ferner Sir Richard Conway, Soldat, Weltreisender und Sportsmann, zu dem noch sechs oder sieben junge Leute kamen, deren Namen Mr Sattersway nicht behalten hatte, und schließlich die Portals.
    Mr Sattersway interessierte sich für die Portals besonders.
    Alex Portal hatte er bisher zwar nicht gekannt, aber sonst wusste er über ihn Bescheid. Seinen Vater und seinen Großvater hatte er gekannt. Alex Portal verkörperte beinahe einen bestimmten Typ. Er war ein Mann von bald vierzig, blond und blauäugig wie alle Portals, sportbegeistert, ein guter Spieler und bar jeder Fantasie. Ungewöhnlich war an Alex Portal überhaupt nichts: der übliche gute und gesunde englische Schlag.
    Aber seine Frau war ganz anders. Sie war, wie Mr Sattersway wusste, Australierin. Vor zwei Jahren war Portal in Australien gewesen, hatte sie dort kennen gelernt, hatte sie dann geheiratet und hierher gebracht. Vor ihrer Ehe war sie nie in England gewesen. Trotzdem hatte sie so gar keine Ähnlichkeit mit anderen Australierinnen, die Mr Sattersway bisher kennen gelernt hatte.
    Er beobachtete sie aufmerksam. Eine interessante Frau – sehr sogar. So ruhig und trotzdem so… lebendig. Lebendig! Das war es genau! Im Grunde keine Schönheit, nein – als schön konnte man sie kaum bezeichnen. Statt dessen besaß sie jedoch einen unglücklichen Zauber, den niemand an ihr hätte missen mögen – den kein Mann an ihr hätte missen mögen. Das fand zumindest Mr Sattersways maskuline Seite, während seine feminine Seite – und Mr Sattersways feminine Seite war keineswegs unbedeutend – sich für eine andere Frage interessierte: Warum färbte Mrs Portal sich die Haare? Ein anderer Mann hätte vermutlich gar nicht bemerkt, dass sie sich die Haare färbte; Mr Sattersway wusste es jedoch. Er kannte sich in diesen Dingen aus. Und es irritierte ihn. Viele dunkelhaarige Frauen färben ihr Haar blond; aber noch nie war ihm eine blonde Frau begegnet, die ihr Haar schwarz gefärbt hatte.
    Alles an ihr erregte seine Neugierde. Auf eine merkwürdige, intuitive Art war er überzeugt, dass sie entweder sehr glücklich oder sehr unglücklich war – was von beiden sie war, wusste er allerdings nicht, und das ärgerte ihn. Hinzu kam jene seltsame Wirkung, die sie auf ihren Mann ausübte.
    Er betete sie an, sagte sich Mr Sattersway, aber manchmal ist er… ja, manchmal hat er vor ihr Angst! Das ist sehr interessant. Ungewöhnlich interessant ist das!
    Portal trank zu viel. Das war sicher. Und er hatte eine komische Art, seine Frau zu beobachten, wenn sie es nicht merkte.
    Die Nerven, sagte sich Mr Sattersway. Der Mann ist ein Nervenbündel. Sie weiß es zwar auch, tut jedoch nichts dagegen.
    Die beiden hatten ihn ausgesprochen
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