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Der seltsame Mr Quin

Der seltsame Mr Quin

Titel: Der seltsame Mr Quin
Autoren: Agatha Christie
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versunken dastand, wusste er später nicht mehr. Plötzlich schreckte er hoch, weil er das Gefühl hatte, kostbare Zeit vertrödelt zu haben. Er stürzte davon, wie unter Zwang in eine bestimmte Richtung gezogen.
    Als er auf die Straße der Liebenden hinaustrat, überkam ihn ein Gefühl der Unwirklichkeit. Verzauberung und Mondschein. Zwei Gestalten schritten auf ihn zu.
    Das ist Oranoff in seinem Harlekinkostüm, dachte Mr Sattersway unwillkürlich. Dann waren sie an ihm vorbei, und Mr Sattersway erkannte seinen Irrtum. Diese schlanke Gestalt konnte nur einem Einzigen gehören – Mr Quin.
    Sie gingen die Straße hinunter, mit so leichten Schritten, dass sie zu schweben schienen. Mr Quin wandte den Kopf, und Mr Sattersway stellte mit Schrecken fest, dass ihm Mr Quins Gesicht völlig fremd erschien. Nein, es war nicht das Gesicht eines Fremden, sondern eher das John Denmans als junger Mann, als das Leben es noch nicht so gut mit ihm gemeint hatte wie heute. Fröhlich, abenteuerlustig, das Gesicht eines jungen Mannes und eines Verliebten.
    Ihr Lachen tönte zu Mr Sattersway herüber, klar und glücklich… In der Ferne schimmerte Licht aus einem kleinen Haus. Mr Sattersway sah dem Paar nach, als träume er.
    Eine Hand, die sich schwer auf seine Schulter senkte, riss ihn aus seiner Versunkenheit. Sergius Oranoff stand vor ihm.
    »Wo ist sie?«, rief er mit bleichem Gesicht. »Wo ist sie? Sie versprach zu kommen, aber sie ist nicht da.«
    »Madame ist eben die Straße hinuntergegangen – allein.«
    Es war Mrs Denmans Mädchen, die das sagte. Sie stand im Schatten an der Pforte zum Garten. Sie hatte dort mit dem Schal ihrer Herrin gewartet.
    »Ich habe gesehen, wie sie vorbeiging«, sagte sie.
    Mr Sattersway fragte rau: »Wieso allein? Sie sagten, allein?«
    Das Mädchen riss erstaunt die Augen auf. »Ja, Sir. Haben Sie sie denn nicht bemerkt?«
    Mr Sattersway ergriff Oranoff am Arm. »Schnell«, rief er. »Ich… ich mache mir große Sorgen!«
    Sie eilten die Straße entlang, wobei Oranoff zusammenhanglos vor sich hin redete:
    »Sie ist eine wundervolle Person. Ah! Wie herrlich sie heute Abend tanzte! Und Ihr Freund! Wer ist das? Ah! Er ist einzigartig – herrlich! Früher, wenn sie die Kolombine von Rimski-Korssakow tanzte, fand sie nie den richtigen Harlekin. Mordroff, Kassnin – keiner war ihr gut genug. Sie hatte da ihre eigene Vorstellung. Einmal gestand sie es mir dann: Sie tanzte immer mit einem Harlekin, den es gar nicht gab. Der nur in ihren Träumen existierte. Es war Harlekin persönlich, der kam, um mit ihr zu tanzen. Deshalb war sie als Kolombine so herrlich!«
    Mr Sattersway nickte. Er konnte immer nur an eines denken. »Schnell!«, rief er. »Schnell. Hoffentlich kommen wir noch rechtzeitig!«
    Sie bogen um die letzte Biegung und standen vor der tiefen Grube. Etwas lag dort unten, das vorher nicht dort gewesen war, der Körper einer Frau, in einer wundervollen Pose, die Arme ausgebreitet, den Kopf zurückgeworfen. Eine Frau, noch im Tod triumphierend und schön.
    Mr Sattersway fiel ein, was Mr Quin gesagt hatte: »… die schönsten Dinge auf einer Müllhalde…« Jetzt verstand er.
    Oranoff war fassungslos. Tränen strömten ihm übers Gesicht. »Ich habe sie geliebt. Ich habe sie immer geliebt.« Er verwendete beinahe dieselben Worte, die Mr Sattersway früher am Abend gedacht hatte.
    »Wir gehörten in die gleiche Welt, sie und ich. Wir dachten die gleichen Gedanken, wir träumten die gleichen Träume. Ich hätte sie immer und ewig geliebt…«
    »Wie können Sie das wissen?«
    Der Russe starrte ihn entgeistert an.
    »Wie können Sie es wissen?«, wiederholte Mr Sattersway. »Alle Liebenden denken so. Alle Liebenden behaupten es. Aber es gibt nur einen wahren Liebenden…«
    Er drehte sich um und wäre beinahe mit Mr Quin zusammengestoßen. Erregt packte ihn Mr Sattersway am Arm und zog in beiseite.
    »Siel«, sagte er. »Sie waren eben noch mit ihr zusammen!«
    Mr Quin schwieg einen Augenblick und antwortete dann: »So könnte man sagen, ja.«
    »Aber das Mädchen hat Sie nicht gesehen.«
    »Das Mädchen hat mich nicht gesehen.«
    »Ich schon. Wieso?«
    »Vielleicht, weil Sie einen hohen Preis bezahlt haben. Deshalb sehen Sie Dinge, die andere nicht sehen.«
    Mr Sattersway blickte ihn verständnislos an. Darauf begann er plötzlich am ganzen Körper zu zittern. »Was ist dies für ein Ort?«, flüsterte er. »Was ist dies für ein Ort?«
    »Das sagte ich Ihnen schon heute Nachmittag. Es ist meine
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