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Der seltsame Mr Quin

Der seltsame Mr Quin

Titel: Der seltsame Mr Quin
Autoren: Agatha Christie
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gewesen«, sagte Denman und lachte. »Meine Frau hat mir mal ein solches Kostüm genäht, als wir gerade verheiratet waren, zu irgendeinem Anlass, den ich vergessen habe.« Er sah an sich hinunter. »Ich glaube nicht, dass ich heute noch hineinpasse.«
    »Heute nicht mehr«, sagte seine Frau. Wieder lag eine seltsame Betonung in ihren Worten. Sie sah auf die Uhr. »Wenn Molly nicht bald kommt, können wir nicht länger warten.«
    In diesem Augenblick erschien sie. Sie trug bereits ihr weiß-grünes Narrenkostüm und sah darin ganz reizend aus, wie Mr Sattersway fand.
    Sie war sehr aufgeregt über ihren bevorstehenden Auftritt. »Ich bin schrecklich nervös!«, verkündete sie, während sie nach dem Essen Kaffee tranken. »Meine Stimme wird unsicher klingen, und vermutlich habe ich den ganzen Text vergessen.«
    »Ihre Stimme ist sehr hübsch«, sagte Mrs Denman. »Ich würde mir an Ihrer Stelle deswegen keine Sorgen machen.«
    »O doch! Wegen dem andern habe ich keine Angst. Ich meine, wenn’s ums Tanzen geht. Das klappt schon. Mit den Füßen kann man nicht viele Fehler machen, finde ich, nicht wahr?«
    Sie blickte Mrs Denman bittend an, doch diese reagierte nicht darauf, sondern meinte: »Singen Sie etwas für Mr Sattersway. Es wird Ihnen das Lampenfieber nehmen.«
    Molly ging zum Flügel. Mit frischer, heller Stimme sang sie eine alte irische Ballade:
     
    »Sheila, schöne Sheila, was siehst du?
    Was siehst du, was siehst du im Feuer?
    Ich sehe einen Burschen, der mich liebt,
    und ich sehe einen Burschen, der mich verlässt.
    Und einen andern, einen Mann im Schatten,
    der mir Kummer macht.«
     
    Dann war das Lied zu Ende, und Mr Sattersway nickte begeistert.
    »Mrs Denman hat Recht: Ihre Stimme ist wundervoll. Vielleicht noch nicht fertig ausgebildet, aber so natürlich, voll jugendlichem Charme!«
    »Das finde ich auch«, pflichtete Mr Denman ihm bei. »Nur keine Aufregung, Molly. Sie brauchen wirklich kein Lampenfieber zu haben! Jetzt brechen wir wohl am besten auf.«
    Man trennte sich, um die Mäntel zu holen. Es war eine herrliche Nacht, und es wurde beschlossen, zu Fuß zu gehen. Der Besitz der Roscheimers lag nur ein paar hundert Meter die Straße hinunter… Mr Sattersway blieb bei seinem Freund stehen. »Seltsam«, sagte er, »bei dem Lied musste ich an Sie denken. Der andere Mann, der Mann im Schatten – das klingt nach einem Geheimnis, und wo es ein Geheimnis gibt, da denke ich sofort… nun, da muss ich sofort an Sie denken.«
    »Bin ich denn so geheimnisvoll?«, fragte Mr Quin. Mr Sattersway nickte nachdrücklich. »Ja, das sind Sie! Bis heute Abend hatte ich zum Beispiel keine Ahnung, dass Sie ein Tänzer sind.«
    »Ach, wirklich?«
    »Hören Sie doch!«, sagte Mr Sattersway und summte das Liebesmotiv aus der Walküre. »Das ging mir während des ganzen Abends ständig im Kopf herum, wenn ich die beiden ansah.«
    »Wen?«
    »Prinz Oranoff und Mrs Denman. Merken Sie nicht, wie anders sie ist? Als hätte sich ein Laden geöffnet, ein Fensterladen, und man könnte ins Innere blicken.«
    »Ja. Vielleicht haben Sie Recht.«
    »Immer das gleiche alte Lied, was? Die beiden gehören zusammen. Sie stammen aus der gleichen Welt, denken die gleichen Gedanken, träumen die gleichen Träume. Man versteht ja, wie es dazu kam. Vor zehn Jahren muss Denman sehr gut ausgesehen haben, ein junger, prächtiger Mann, wie ein Romanheld. Und er rettete ihr das Leben. Alles ganz normal. Aber heute – was ist er heute? Ein netter Kerl, erfolgreich, wohlhabend und – offen gestanden – durchschnittlich. Aus gutem englischem Holz, beinahe wie die Möbel in ihrem Wohnzimmer. So englisch und durchschnittlich wie das hübsche Mädchen mit ihrer frischen Stimme. Ja, Sie mögen lächeln, Mr Quin, aber Sie können das nicht leugnen.«
    »Das tue ich auch nicht. Was Sie sagen, trifft den Kern genau. Trotzdem…«
    »Wieso trotzdem?«
    Mr Quin neigte sich zu Mr Sattersway und fragte mit forschend auf ihn gerichteten Augen. »Haben Sie so wenig aus dem Leben gelernt?« Damit verließ er Mr Sattersway, der leicht beunruhigt war und ins Grübeln geriet. Plötzlich stellte er zu seinem Schrecken fest, dass die andern ohne ihn aufgebrochen waren. Er folgte ihnen durch den Garten und durch dieselbe Pforte, die er am Nachmittag benützt hatte. Die Straße lag im Mondlicht friedlich da, und während er durch die Pforte trat, sah er ein Paar, das sich eng umschlungen hielt. Einen Augenblick lang dachte er – ja, dann erkannte er, dass er
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