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Der seltsame Mr Quin

Der seltsame Mr Quin

Titel: Der seltsame Mr Quin
Autoren: Agatha Christie
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und Pierrette alt und grau. Sie sitzen in zwei Sesseln vor dem Feuer. Durch das Fenster fällt ein Mondstrahl, und das Motiv von Pierrots längst vergessenem Lied erklingt.
    Leise Musik – Feenmusik – Harlekin und Kolombine sind draußen. Die Tür fliegt auf, und Kolombine tanzt herein. Sie beugt sich über den schlafenden Pierrot und küsst ihn auf den Mund.
    Wieder ein rollender Donner. Kolombine verschwindet, das Fenster wird hell, und dahinter sieht man das Paar langsam davontanzen. Ein Holzscheit kracht im Feuer. Pierrette springt ärgerlich auf, läuft zum Fenster und lässt das Rollo herunter. Mit einem plötzlichen Misston ist das Stück aus.
    Mr Sattersway saß sehr still da und klatschte nicht wie die übrigen Zuschauer. Schließlich stand er auf und ging hinaus. Er begegnete Molly Stanwell, die mit roten Wangen Komplimente entgegennahm. Er beobachtete John Denman, der sich mit einem neuen Ausdruck in den Augen einen Weg durch die Menge zu bahnen versuchte. Molly trat auf ihn zu, doch er schob sie zur Seite, ohne sie überhaupt zu bemerken. Er dachte jetzt an ganz jemand anderen.
    »Wo ist meine Frau?«, fragte er. »Wo ist sie?«
    »Ich glaube, sie ging in den Garten.«
    Es war dann aber Mr Sattersway, der sie fand. Sie saß auf einem Stein unter einer Zypresse. Er trat auf sie zu und tat etwas Seltsames: Er küsste ihr die Hand.
    »Ach!«, sagte sie. »Sie finden also, dass ich gut getanzt habe?«
    »Sie haben getanzt, wie Sie immer getanzt haben, Madame Kharsanowa.«
    Sie holte tief Luft. »Sie – Sie haben es erraten.«
    »Es gibt nur eine Kharsanowa! Niemand, der Sie tanzen gesehen hat, könnte Sie vergessen. Aber warum? Warum…«
    »Was denn sonst?«
    »Wie bitte?«
    »Oh! Sie verstehen genau! Sie kennen das Leben. Eine große Tänzerin… kann Liebhaber haben, das ja. Aber einen Mann… das ist etwas anderes. Und er… er wollte nicht nur mein Liebhaber sein. Er wollte, dass ich ihm gehörte, wie die… die Kharsanowa ihm nie hätte gehören können.«
    »Ich verstehe«, antwortete Mr Sattersway. »Jetzt verstehe ich. Und deshalb gaben Sie Ihre Karriere auf?«
    Sie nickte.
    »Sie müssen ihn sehr geliebt haben«, bemerkte Mr Sattersway freundlich.
    »Weil ich ihm ein solches Opfer brachte?« Sie lachte.
    »Nein. Weil Sie es so leichten Herzens taten.«
    »Ach so! Ja… vielleicht…«
    »Und nun?«, fragte Mr Sattersway.
    Sie wurde ernst. »Nun?« Sie schwieg. Dann sagte sie laut in die Dunkelheit hinein: »Bist du das, Sergius?«
    Prinz Oranoff trat ins Mondlicht. Er ergriff ihre Hand und lächelte Mr Sattersway unbefangen zu.
    »Vor zehn Jahren trauerte ich um Anna Kharsanowa«, sagte er einfach. »Sie war mein zweites Ich. Heute fand ich sie wieder. Wir werden uns nie mehr trennen.«
    »Am Ende der Straße in zehn Minuten«, antwortete sie. »Ich werde dich nicht warten lassen.«
    Oranoff nickte und ging. Mrs Denman wandte sich an Mr Sattersway und fragte lächelnd: »Nun, mein Freund, Sie sind nicht zufrieden?«
    »Wissen Sie eigentlich«, sagte Mr Sattersway übergangslos, »dass Ihr Mann Sie sucht?«
    Er sah die Erschütterung, die sich auf ihrem Gesicht spiegelte, doch ihre Stimme klang gelassen, als sie antwortete: »Nun, das mag schon sein.«
    »Ich habe seine Augen gesehen. Er…« Er schwieg abrupt.
    Sie blieb gelassen. »Ja, vielleicht für eine Stunde. Der Zauber eines Augenblicks, hervorgerufen durch Erinnerungen, durch Musik, Mondschein. Das ist alles.«
    »Ich kann Sie nicht überzeugen?« Mr Sattersway fühlte sich alt und mutlos.
    »Zehn Jahre lang habe ich mit dem Mann zusammengelebt, den ich liebe«, sagte Anna Kharsanowa. »Jetzt werde ich zu dem Mann gehen, der mich seit zehn Jahren liebt.«
    Mr Sattersway schwieg. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Außerdem schien es ihm die beste Lösung zu sein. Nur…
    Nur war es irgendwie nicht die Lösung, die er sich erhofft hatte. Er spürte ihre Hand auf seiner Schulter.
    »Ich weiß, mein Freund, ich weiß! Aber eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Man sucht nur immer nach dem einen – dem vollkommenen, ewigen Liebhaber. Es ist die Musik des Harlekins, die man hört. Mit keinem Liebhaber ist man auf die Dauer zufrieden, denn alle sind sterblich. Und Harlekin ist nur ein Mythos, unsichtbar… außer…«
    »Ja?«, sagte Mr Sattersway. »Ja?«
    »Außer – sein Name ist… Tod.«
    Mr Sattersway erschauerte. Mrs Denman erhob sich und verschwand zwischen den Schatten der Bäume.
    Wie lange Mr Sattersway noch in Gedanken
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