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Der seltsame Mr Quin

Der seltsame Mr Quin

Titel: Der seltsame Mr Quin
Autoren: Agatha Christie
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einzige Kharsanowa! Haben Sie sie tanzen gesehen?«
    »Dreimal«, erwiderte Mr Sattersway. »Zweimal in Paris, einmal in London. Ich werde es nie vergessen.«
    Er sprach mit fast andächtiger Stimme.
    »Ich habe sie auch gesehen«, sagte Wickam. »Ich war erst zehn. Ein Onkel nahm mich mit. Mein Gott! Es ist mir ewig unvergesslich.«
    Begeistert warf er ein Stück Kuchen in ein Blumenbeet.
    »In einem Berliner Museum steht eine kleine Statue von ihr«, sagte Mr Sattersway. »Sie ist zauberhaft. Diese Zerbrechlichkeit – als könnte man sie mit einem Fingerschrippen zerbrechen. Ich habe sie als Kolombine gesehen, als den sterbenden Schwan.« Er schwieg und schüttelte den Kopf. »Was für eine Begabung. Eine Tänzerin wie sie kommt so schnell nicht wieder. Sie war noch so jung. In den ersten Tagen der Revolution kam sie ums Leben, sinnlos gemordet.«
    »Dummköpfe! Verrückte! Affen!«, rief Wickam. Er verschluckte sich an seinem Tee.
    »Ich habe mit der Kharsanowa studiert«, sagte Mrs Denman. »Ich erinnere mich noch gut an sie.«
    »Sie war wundervoll, nicht wahr?«, sagte Mr Sattersway.
    »Ja, ganz wundervoll!«
    Dann verabschiedete sich Wickam. Als er verschwunden war, seufzte John Denman erleichtert, worüber seine Frau lachen musste.
    Mr Sattersway nickte. »Ich weiß, was Sie denken. Aber trotz allem – die Musik, die der Junge komponiert, ist noch echte Musik.«
    »Vermutlich«, antwortete Denman trocken.
    »Ganz bestimmt. Wie lange es allerdings dauert, das ist etwas anderes.«
    John Denman blickte ihn neugierig an. »Was meinen Sie damit?«
    »Er hatte schon so früh Erfolg. Das ist gefährlich. War es immer.« Er sah Mr Quin an. »Finden Sie nicht auch?«
    »Sie haben immer Recht!«, entgegnete Mr Quin.
    »Gehen wir doch in mein Wohnzimmer hinauf«, sagte Mrs Denman. »Es ist so angenehm dort.«
    , Sie ging ihnen voraus, und die Herren folgten ihr. Mr Sattersway holte tief Luft, als er den chinesischen Wandschirm sah. Da merkte er, dass Mrs Denman ihn beobachtete.
    »Sie sind ein Mann, der vieles weiß«, sagte sie und nickte ihm leicht zu. »Was halten Sie von meinem Wandschirm?«
    Er fand, dass ihre Frage in gewisser Weise eine Herausforderung war, und deshalb antwortete er nur zögernd, fast stotternd. »Nun, er ist… er ist schön. Mehr noch, er ist einzigartig.«
    »Das stimmt«, sagte Denman, der zu ihnen getreten war. »Wir haben ihn bald nach unserer Heirat gekauft. Wir bekamen ihn für ein Zehntel seines Werts, trotzdem – nun, wir haben über ein Jahr daran zu kauen gehabt. Erinnerst du dich, Anna?«
    »Ja. Sehr gut.«
    »Eigentlich hätten wir ihn damals gar nicht kaufen dürfen. Heute ist das natürlich etwas anderes. Kürzlich war eine sehr interessante Auktion bei Christies. Genau die richtigen Gegenstände, um diesen Raum vollkommen zu machen. Nur chinesische Möbel. Dann hätten wir den ganzen anderen Kram verschwinden lassen können. Ob Sie’s glauben oder nicht, Sattersway, meine Frau wollte nichts davon hören.«
    »Mir gefällt das Zimmer, wie es ist«, erklärte Mrs Denman.
    Ein seltsamer Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Wieder war Mr Sattersway irgendwie beunruhigt. Er blickte um sich und bemerkte zum ersten Mal, dass der Raum völlig unpersönlich war. Keine Fotografien, keine Blumen, keine Nippsachen. Sicherlich nicht das Zimmer einer Frau. Wenn der schöne Wandschirm nicht gewesen wäre, hätte man es für den Ausstellungsraum eines Möbelhauses halten können.
    »Es ist nämlich so«, sagte Mrs Denman und lächelte ihn an, »dass wir diesen Wandschirm nicht nur mit Geld gekauft haben, sondern auch mit Liebe. Ich glaube, Sie verstehen, was ich meine. Weil er so schön und einzigartig war, hatten wir uns in ihn verliebt und verzichteten auf andere Dinge, auf Dinge, die wir eigentlich gebraucht hätten und die uns fehlten. Diese anderen chinesischen Einrichtungsgegenstände, von denen mein Mann sprach, würden wir nur mit Geld kaufen, nicht auch mit unserem Herzen.«
    Ihr Mann lachte. »Na, wie du willst«, sagte er mit einer Spur Missbilligung in der Stimme. »Aber es ist so unharmonisch. Das englische Zeug ist auf seine Art ja ganz ordentlich, solide, echt – aber mittelmäßig.«
    Sie nickte. »Gute, solide englische Ware«, murmelte sie.
    Mr Sattersway starrte sie nachdenklich an. Er glaubte, einen verborgenen Sinn aus ihren Worten herauszuhören. Dieser mit gediegenen englischen Möbeln eingerichtete Raum, dazu der prachtvolle Wandschirm – nein, er kam nicht
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