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Der seltsame Mr Quin

Der seltsame Mr Quin

Titel: Der seltsame Mr Quin
Autoren: Agatha Christie
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Januar war. Mein Jagdpferd Ned – erinnerst du dich noch an Ned? – fing nämlich Anfangjanuar an zu lahmen. Das war kurz nach dieser Geschichte.«
    »Es gibt wohl kaum etwas Schwierigeres«, sagte Mr Quin beiläufig. »Es sei denn, man kann irgendeinen Anhaltspunkt finden, etwa ein wichtiges Ereignis: die Ermordung eines gekrönten Hauptes oder einen großen Mordprozess.«
    »Aber natürlich!«, rief Conway. »Es war kurz vor dem Appleton-Prozess!«
    »Kurz danach, nicht wahr?«
    »Aber nein, erinnerst du dich denn nicht mehr? Capel kannte doch die Appletons. Er war mit dem alten Appleton im Frühjahr noch zusammen gewesen – eine Woche vor dessen Tod war das! Eines Abends erzählte er noch von ihm – was für ein komischer Geizkragen er sei und wie schrecklich es für eine junge und schöne Frau wie Mrs Appleton sein müsse, an ihn gefesselt zu sein. Damals stand sie noch nicht im Verdacht, ihn aus dem Wege geräumt zu haben.«
    »Mein Gott, du hast Recht! Ich erinnere mich noch, wie ich die Meldung in der Zeitung las, dass seine Leiche exhumiert werden sollte. Und das muss am selben Tag gewesen sein! Ich weiß, dass ich die Meldung gar nicht richtig in mich aufnahm, weil ich viel zu sehr mit dem armen Derek beschäftigt war, der oben lag – tot.«
    »Ein weit verbreitetes, jedoch sehr seltsames Phänomen«, bemerkte Mr Quin. »In Augenblicken großer Beanspruchung konzentrieren sich die Gedanken auf irgendein völlig unwichtiges Ereignis, an das man sich später mit größter Genauigkeit erinnert, weil es durch die geistige Anspannung in die Erinnerung eingegraben wurde. Manchmal ist es auch eine völlig bedeutungslose Angelegenheit wie das Muster einer Tapete – aber es ist unvergesslich.«
    »Ziemlich sonderbar, dass Sie das sagen, Mr Quin«, meinte Conway. »Während Sie eben sprachen, hatte ich nämlich das Gefühl, mich wieder in Derek Capels Zimmer zu befinden – Capel tot auf dem Fußboden –, und dabei sah ich so deutlich, wie man es sich nur vorstellen kann, den großen Baum vor dem Fenster und den Schatten, den er auf den Schnee warf. Ja, der Mond, der Schnee und der Schatten des Baumes – ganz genau sehe ich alles wieder vor mir. Mein Gott, ich glaube, ich könnte alles aufzeichnen, und trotzdem ist mir nie aufgefallen, dass ich mir das alles genau angesehen habe!«
    »Sein Zimmer war der große Raum über der Veranda, nicht wahr?«, fragte Mr Quin.
    »Ja, und der Baum – das war die große Buche, die neben der Auffahrt steht.«
    Mr Quin nickte, als wäre er zufrieden. Mr Sattersway spürte eine sonderbare Erregung. Er war überzeugt, dass jedes Wort, jede Modulation in Mr Quins Stimme eine besondere Bedeutung hatte. Er steuerte auf irgendetwas hin – was es war, wusste Mr Sattersway zwar nicht, aber er war überzeugt, genau zu wissen, wessen Hand das Steuer führte.
    Es folgte eine vorübergehende Pause, und dann kam Evesham auf das vorige Thema noch einmal zurück.
    »Ja, der Appleton-Prozess: Ich erinnere mich noch gut daran. Das war eine Sensation. Wurde sie damals nicht freigesprochen? Eine hübsche Frau: sehr blond – auffallend blond.«
    Beinahe gegen seinen Willen suchten Mr Sattersways Augen die kniende Gestalt am Geländer des Treppenabsatzes. Bildete er es sich ein, oder hatte er wirklich gesehen, wie sie leicht zusammenzuckte, als hätte sie einen Schlag erhalten? Sah er wirklich, wie sich eine Hand zur Tischdecke hinauftastete – und dann innehielt?
    Klirrend zersplitterte Glas. Alex Portal, der sich wieder eingießen wollte, hatte die Whiskyflasche fallen lassen.
    »Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, Sir, ich weiß gar nicht, was über mich gekommen ist.«
    Evesham unterbrach Portals Entschuldigungen.
    »Aber ich bitte Sie, mein lieber Freund! Seltsam – das erinnert mich an irgendetwas. Das passierte ihr doch auch, nicht wahr? Mrs Appleton, meine ich! Sie ließ doch die Portweinkaraffe fallen, nicht?«
    »Stimmt! Der alte Appleton bekam jeden Abend sein Glas Portwein, ein Einziges. Am Tag nach seinem Tod beobachtete einer der Diener, wie sie die Karaffe herausholte und absichtlich fallen ließ. Das löste natürlich Gerüchte aus. Alle wussten, dass sie sich völlig mit ihm überworfen hatte. Das Gerede wurde immer lauter, und eines Tages, nach Monaten, beantragten Verwandte von ihm seine Exhumierung. Dabei stellte sich tatsächlich heraus, dass er vergiftet worden war. Mit Arsen, nicht wahr?«
    »Nein – mit Strychnin, glaube ich. Aber das ist nicht so wichtig. Das
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