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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs
Autoren: Sorj Chalandon
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    Wenn mein Vater mich schlug, schrie er Wörter aus der englischen Soldatensprache, als wollte er unsere Sprache heraushalten. Mit verzerrtem Mund brüllend prügelte er auf mich ein. Wenn mein Vater mich schlug, war er nicht mehr mein Vater, sondern nur Patraig Meehan. Meehan mit dem zerbeulten Gesicht und dem gefrorenen Blick, ein böser Wind, dem man am besten auswich, indem man die Straßenseite wechselte. Wenn mein Vater betrunken war, zertrampelte er den Boden, zerriss er die Luft, malträtierte er die Worte. Wenn er mein Zimmer betrat, zuckte das Dunkel zusammen. Er zündete keine Kerze an. Schnaufte wie ein altes Tier, und ich machte mich auf seine Fäuste gefasst.
    Wenn mein Vater betrunken war, fiel er über Irland her wie unser Feind. Er war der Feind, und er war überall. Unter unserem Dach, auf der Schwelle unseres Hauses, auf den Wegen von Killybegs, in der Heide, am Waldrand, bei Tag und bei Nacht. Mit groben Bewegungen besetzte er jeden Ort. Man konnte ihn schon von Weitem sehen. Und hören. Die stolpernden Wörter, den schwankenden Körper. Im »Mullin’s«, unserem Dorfpub, rutschte er vom Hocker, ging zu den Tischen hin und haute mit der flachen Hand zwischen die Gläser. Er war anderer Meinung? Das sagte er auch so. OhneWorte, die Finger im Bier, mit seinem Blick. Die anderen schwiegen mit gesenkter Mütze und abgewandten Augen. Dann richtete er sich wieder auf und forderte mit verschränkten Armen den ganzen Saal heraus. Wartete auf Widerspruch. Wenn mein Vater betrunken war, war er zum Fürchten.
    Einmal schlug er auf dem Weg zum Hafen George, den Esel des alten McGarrigle, mit der Faust. Der Kohlenhändler hatte sein Tier nach dem König von England benannt, um ihm in den Arsch treten zu können. Ich war dabei. Mein Vater schwankte und stolperte nach dem morgendlichen Besäufnis, ich trottete hinter ihm her. An einer Straßenecke gegenüber der Kirche plagte sich der alte McGarrigle. Zog an seinem störrischen Esel, die eine Hand auf dem Sattel, die andere am Halfter, und drohte mit allen Heiligen. Mein Vater blieb stehen. Beobachtete den alten Mann, das bockende Tier, die Hilflosigkeit des einen, die Halsstarrigkeit des anderen, und ging über die Straße. Er stieß McGarrigle weg, stellte sich vor den Esel und beschimpfte ihn wüst, als spräche er mit dem englischen König. Ob er eine Ahnung habe, wer Patraig Meehan sei. Ob er überhaupt wisse, wem er sich da widersetze. Drohend vorgeneigt, Stirn an Stirn mit dem Esel, erwartete er eine Antwort, seine Kapitulation. Und dann schlug er zu, ein schrecklicher Hieb zwischen Augen und Nüstern. George schwankte, fiel auf die Flanke, und der Kohlenkarren kippte um. »Éirinn go Brách!« , schrie mein Vater und zog mich am Arm hinter sich her. »Gälisch sprechen heißt Widerstand leisten«, murmelte er noch. Dann gingen wir weiter.
    *
    Als Kind schickte mich meine Mutter manchmal in den Pub, ihn holen. Nachts. Ich traute mich nicht hinein. Ging vor der Tür und den geschlossenen Vorhängen des »Mullin’s« auf und ab. Wartete, bis wer herauskam, und drückte mich dann in den Raum mit dem scharfen Geruch nach Bier, Schweiß, feuchten Mänteln und kaltem Tabak.
    »Pat? Zeit für die Suppe«, lachten seine Freunde.
    Wenn es keiner sah, erhob er die Hand gegen mich, wenn ich jedoch seine Welt betrat, nahm er mich mit offenen Armen auf. Ich war sieben. Stand mit gesenktem Kopf an der Theke, bis sein Lied zu Ende war. Er hatte die Augen geschlossen, die Hand auf dem Herzen und klagte um sein zerrissenes Land, die toten Helden,den verlorenen Krieg,rief die großen Ahnen zu Hilfe, die Rebellen von 1916, die traurige Schar unserer und aller früheren Besiegten, die Chefs der gälischen Clans und auch noch Saint Patrick mit seinem Krummstab, um die englische Schlange zu verjagen. Ich sah zu ihm hoch. Hörte ihm zu. Sah die anderen schweigen und war stolz auf ihn. Trotz alledem. Stolz auf Pat Meehan, stolz auf diesen Vater, trotz der braunen Striemen auf meinem Rücken und der ausgerissenen Haarbüschel.Wenn er unser Land besang,hatten alle die Stirn erhoben und die Augen voller Tränen.Bevor er gemein wurde, war mein Vater ein irischer Dichter, und ich wurde als Sohn dieses Dichters empfangen. Kaum trat ich durch die Tür, gab es obendrauf Wärme. Klapse auf den Rücken, Schulterklopfen, Augenzwinkern von Mann zu Mann, obwohl ich doch noch ein Kind war. Jemand ließ mich die Lippen in den ockerfarbenen Schaum eines Bieres tauchen. Daher meine
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