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Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)

Titel: Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
Autoren: Cordelia Borchardt und Andreas Hoh
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wie einen Joint zwischen Mittel- und Ringfinger, kneift die Augen zusammen und wiegt den Kopf hin und her. Wir stehen hinter den großen Containern am Rand des Schulhofes. Die Sonne brennt seit Stunden, und der Müll in den dunklen Kunststoffbehältern stinkt bestialisch.
    »Wir hacken ihn«, sagt Peter schließlich und stößt Rauch in einem großen Schwall aus. Seine linke Gesichtshälfte ist immer noch feuerrot, der Medizinball hatte ihn gestern beim Sportunterricht voll in der Drehung erwischt. »Sorry, das war wohl zu hoch geworfen«, hatte Lahmann ihm zugerufen und sich dann grinsend zu den kichernden Mädchen aus seinem Team umgedreht. Völkerball. Wie immer mit einem Medizinball. Wie immer in den letzten 15 Minuten des Sportunterrichtes, und wie immer hatte Lahmann selbst in der schwächeren Mannschaft der Mädchen mitgespielt.
    Peter hält mir die Zigarette hin.
    Ich schüttle den Kopf. »Hacken, du willst wirklich …?«
    Peter nickt. »Ich sage euch, Lahmann ist genau der Typ, der Filme mit kleinen Mädchen auf seinem Rechner hat. Vielleicht tauscht er sogar mit anderen Kinderfickern.« Peter inhaliert tief und drückt die Kippe auf einem Containerdeckel aus. »Von Laura weiß ich, dass er öfter unter einem Vorwand durch den Umkleideraum der Mädchen läuft. Einmal ist er nach der Sportstunde sogar in ihrem Duschraum aufgetaucht und hat blöde Sprüche geklopft.«
    »So ein Wichser«, sagt Tim nach kurzer Pause.
    Langsam beginne ich zu verstehen. Wenn wir solches Zeug auf seinem Rechner finden, dann können wir ihn bloßstellen, die Filme bei Facebook oder Schüler VZ hochladen, entschärft natürlich. Lahmann wäre in kürzester Zeit weg vom Fenster.

    Der Juni bleibt weiterhin ungewöhnlich warm. Wir sitzen in Tims Zimmer, haben die Rollos runtergezogen und die Fenster geschlossen. Trotzdem hören wir das Gejohle unserer Freunde aus dem nahen Freibad.
    »Scheiße – auch verschlüsselt!« Ich schlage mit der flachen Hand auf die Platte des Schreibtischs. Unser Plan scheint zu scheitern. Lahmann hat sein System perfekt abgesichert. Außerdem ist er zwar regelmäßig, aber immer nur kurz im Netz unterwegs. Wir sind echte Freaks, die schon einige Rechner einfach zur Übung gehackt haben. Aber an dieser Herausforderung beißen wir uns bisher die Zähne aus.
    Heute sitzen Tim und ich alleine in dem grauen Licht des Monitors. Peter ist vor zwei Tagen auf ein Hacker-Camp an die Ostsee gefahren. Drei Tage nur die größten Meister der Szene treffen – das wird genial, hat er bei der Abfahrt gemeint, wir sollen mit den weiteren Hackversuchen an Lahmanns Computer auf jeden Fall auf ihn warten. Das hat Peter sich so gedacht, aber nicht mit dem Ehrgeiz von Tim und mir gerechnet.
    Die Stille dauert bereits einige Sekunden, als ich bemerke, dass Tims Finger nicht mehr auf der Tastatur klappern.
    »Was ist?«, frage ich. »Keine Lust mehr? Aufgegeben?« Ich sehe Tim von der Seite an, in dem dicken Rand seiner Brillengläser spiegeln sich die Zeichenkolonnen, die über den Bildschirm jagen, seltsam verzerrt. Tim schüttelt den Kopf. Vorsichtig, als ob er ein Geheimnis damit verraten würde.
    »Ich bin drin«, sagt er schließlich.
    »Wirklich?«
    Tim nickt jetzt deutlicher. Ich möchte ihn küssen, doch ich weiß, dass das nicht gut wäre. Trotz aller Fortschritte, die er in den letzten Jahren gemacht hat, tut er sich mit Berührungen nach wie vor sehr schwer.
    Ich rücke etwas dichter an den Monitor, erkenne einen Verzeichnisbaum, mit Laufwerken und Ordnern:
Lehrplan, Sportprüfung, Programme, Privates.
    »Cool, alles da«, sage ich. »Privates – geh da mal rein.«
    Die Darstellung verändert sich, zahllose Dateinamen scrollen über den Schirm. Korrespondenz mit Versicherungen, Fotos, Namen von bekannten Urlaubsorten, dann …
    »Stopp«, schreie ich, doch Tim hat es schon vor mir entdeckt.
    »Video_Suesse_Girls_Dusche«, lese ich, während Tims Finger bereits weitere Befehle an den Computer schicken.
    Auf dem Monitor baut sich die Videosequenz auf. Unscharf und pixelig, erkenne ich zwei Mädchen in einem großen Duschraum. Wasserdampf. Eine Hand vor dem Objektiv. Ein Taschentuch, das Tropfen von der Linse wischt. Die Kamera wackelt, das Bild springt, für einen Moment sehe ich ein Gesicht in Nahaufnahme. Extremer Weitwinkel, etwas verzerrt, aber unverkennbar, das ist eindeutig Lahmann, der dort breit in die Kamera grinst. Nur für eine Sekunde, doch das reicht. Obwohl ich eigentlich jubeln müsste, schlucke ich
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