Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)

Titel: Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
Autoren: Cordelia Borchardt und Andreas Hoh
Vom Netzwerk:
Blinddates mit Männern zu verabreden, von denen sie nicht viel mehr wusste als ihre jeweiligen »Nicknames«. Aber genau das tat sie seit einigen Monaten; inzwischen sogar ziemlich routiniert. Mit einem entschiedenen Ruck zog sie den Reißverschluss wieder zu. Seit der Scheidung von Dankwart war eben so einiges möglich geworden, war so einiges geschehen, das für sie früher absolut undenkbar gewesen wäre, gestand sie sich ein. Annelore setzte die Sonnenbrille auf und sah sich, die Augen hinter den getönten Gläsern versteckt, an den Nachbartischen um. Die meisten der anderen Gäste schienen Angestellte aus den umliegenden Büros zu sein, die ihre Mittagspause lieber am Wasser als in den schlecht gelüfteten Sozialräumen der Firmen verbrachten. Wie gelassen die Leute waren, dachte Annelore bitter. Sie selbst säße ohne die professionelle Unterstützung Frau Dr. Bredenstedts heute sicher nicht hier.
    Unwillkürlich traten ihr Tränen in die Augen, wenn sie sich an die Wochen und Monate erinnerte, die zwischen der Trennung und ihrer ersten Therapiestunde lagen. Bedenkenlos hatte Dankwart sie kurz vor ihrem zwanzigsten Hochzeitstag gegen eine 28-Jährige ausgetauscht, bei der das Fleisch an der Unterseite ihres Oberarms noch fest war; und nicht, wie bei seiner Ehefrau, beim Winken wackelte. Dies hatte er ihr sehr anschaulich deutlich gemacht. Einen Tag später zog er aus der gemeinsamen Wohnung aus und bei Stephanie ein. »Steph« nannte er sie. Und sie nannte ihn »Danny«. Dänny und Stäff. Wie ein Mann in seinem Alter auf solch peinliche und geschmacklose Art der längst vergangenen Jugend hinterherhecheln konnte, blieb für sie ein Rätsel.
    In den ersten Tagen nach seinem plötzlichen Auszug hatte Annelore stundenlang regungslos in ihrer Küche gesessen und die nackten Herdplatten angestarrt. Sie befand sich in einem Vakuum aus Trauer, Taubheit und Lähmung. Ein vollbusiger Tornado war aus dem Nichts gekommen und hatte ihren Ehemann mit sich gerissen. Nach etwa einer Woche tauchte Annelore langsam aus diesem wattierten Schockzustand auf und verfiel umgehend in hektischen Aktionismus. Sie hatte das Gefühl, an allem klebte der ranzige Geruch Dankwarts. Er widerte sie an. Die Bettwäsche flog komplett in den Altkleidercontainer und sie kaufte sich neue Bezüge, Kissen und Inletts. Dann fing sie an zu waschen. Das Wäschewaschen war etwas Vertrautes, alltägliche Hausarbeit, die notwendig war und erledigt werden musste. Etwas, woran sie sich festhalten konnte. Da es zum damaligen Zeitpunkt in ihrem Leben so ziemlich das Einzige war, was sie unter Kontrolle zu haben schien, perfektionierte sie ihre Waschleistungen. Annelore entwickelte sich zur Expertin, was strahlend weiße Wäsche und leuchtende Farben betraf. Um die optimale Dosierung für jede Waschladung zu finden, fing sie an zu experimentieren. Sie fand heraus, dass es das präzise Zusammenspiel von Wasserhärte, Verschmutzungsgrad, Temperatur und Beladungsgewicht der Maschine war, das eine erstklassige Waschleistung ausmachte. Schwierige Flecken stachelten ihren Ehrgeiz erst richtig an. Auch bei niedrigen Temperaturen und ohne zusätzlichen Wasserenthärter entwickelte sie eine Reinheit in ihrer Wäsche, die beispiellos war. In diesem Stadium wurde das Waschen für Annelore zur Besessenheit. Es wurde zu einer Sucht, zu einem inneren Zwang. Sie konnte an nichts anderes mehr denken, sie musste waschen und war süchtig nach feuchten Textilien.
    Annelore nahm die Sonnenbrille ab und tupfte sich behutsam mit einer Papierserviette die Tränen von der Wange.
    »Noch eine Weißweinschorle für die Dame?« Sie erschrak, als der junge Mann sie mit seiner Frage aus ihren Gedanken riss.
    »Ja gerne«, sie lächelte höflich, »bei diesem Wetter ist es das ideale Kaltgetränk, finde ich.«
    Der Kellner nickte ihr freundlich zu und ging weiter zum Nachbartisch, um die Mittagessen der Büroangestellten abzukassieren. Annelore rückte ihr Halstuch zurecht und sah abermals auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten. »Knuddelhase54«, der Unbekannte aus dem Internet, wie er wohl sein würde, fragte sie sich. Der gut besuchte Biergarten war ihr Vorschlag gewesen. Ein öffentlicher Ort, an dem man sich gefahrlos mit einem wildfremden Menschen treffen und dank der weit auseinander stehenden Tische gleichzeitig unbehelligt sein konnte. Eine gewisse Nervosität verspürte sie dennoch, auch wenn es inzwischen ihr zwölftes Internetdate war. Olaf war ihre letzte Verabredung gewesen. Der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher