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Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)

Titel: Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
Autoren: Cordelia Borchardt und Andreas Hoh
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gut aussehende Bauingenieur war ihr anfangs sehr sympathisch gewesen. Bodenständig, gebildet, aufmerksam und humorvoll. Fast hätte er sie sogar so weit gehabt, sich ein zweites Mal mit ihm zu treffen. Doch dann begann er über die Langeweile in seiner sexarmen Ehe zu lamentieren. Sie war von seinem engstirnigen Genörgel zunehmend verärgert und es kam zu keinem zweiten Date mit Olaf. Annelore konstatierte mit einer gewissen Genugtuung, dass sie tatsächlich Gefallen daran gefunden hatte, sich mit Männern zu verabreden, die sie nach einer Begegnung nie wiedersehen musste.
    Der nette Ober brachte ihre zweite Schorle und sie fischte heimlich das Zitronenscheibchen aus dem Glas, um es im Aschenbecher verschwinden zu lassen. Es war vielleicht spritzig und erfrischend, aber es verfälschte den Geschmack des Weißweins.
    Um diese Tageszeit, kurz nach Mittag, hatte Annelore damals bereits die zweite Maschine Wäsche im Schleudergang laufen. Natürlich war das schon lange nicht mehr normal gewesen. Aber anfangs war es nicht aufgefallen. Die schüchterne Studentin aus der Wohnung im Souterrain hatte sich zunächst sehr über das Angebot gefreut, ihre Wäsche mitzumachen. Jeden Donnerstag brachte die junge Frau ihr daraufhin einen Korb Wäsche vorbei. Egal ob Handwäsche, Weißwäsche oder pflegeleichte Kochwäsche, Annelore schaffte es immer, den Schmutz aus der Wäsche zu lösen. Nach einiger Zeit hatte Annelore ihr angeboten, auch gerne öfter als nur einmal pro Woche für sie zu waschen. Doch die Nachbarin hatte dankend abgelehnt; zudem vergaß sie an dem folgenden Donnerstag, ihre Wäsche vorbeizubringen. So kam es, dass Annelore noch in derselben Nacht mit beiden Fäusten an die Wohnungstür im Souterrain hämmerte und die Bewohnerin aufforderte, ihr umgehend die gesamte Schmutzwäsche auszuhändigen. Aus dem Schlaf geschreckt und mit weit aufgerissenen Augen stand die zierliche Frau bleich vor ihr. Tatsächlich drückte sie ihr verstört ein paar Küchenhandtücher in die Arme. Aber das bisschen Wäsche reichte nicht für eine Maschine. Gleich einer Wahnsinnigen stürzte Annelore sich auf den bunten Flickenteppich am Boden und zerrte ihn eiligst unter den nackten Füßen der zitternden Studentin hervor. Nach diesem nächtlichen Überfall war ihr die Untermieterin allerdings konsequent aus dem Weg gegangen. Hatte ihr, der kraftvollen Fleckenentfernerin, ärgerlicherweise auch kein einziges Stück Wäsche mehr zukommen lassen.
    Annelore seufzte und nahm einen weiteren Schluck Schorle. Noch zehn Minuten. »Knuddelhase54« konnte nun jeden Augenblick erscheinen. Um sie herum wurden Tische zusammengeschoben und Stühle gerückt. Eine japanische Touristengruppe hatte den Biergarten erobert. Fotoapparate klickten, Kameras surrten und der Reiseleiter war offensichtlich hektisch bemüht, den vorgeschriebenen Zeitplan der Tour einzuhalten.
    Auch die Kassiererin in ihrem Supermarkt war Japanerin gewesen, immer höflich und zuvorkommend. Schon weit hinten in der Schlange stehend hatte sie damals den Fleck auf dem weißen Arbeitskittel der Kassiererin entdeckt. Als Annelore dann endlich an der Reihe war und ihre Einkäufe auf das Band legte, bot sie der Frau an, ihren Kittel zu waschen. Es hätte ihr keinerlei Umstände gemacht. Sie wäre schnell nach Hause gelaufen und hätte ihn gewaschen. Aber die Japanerin wollte nicht, sondern zog ungerührt weiter die Waren über den Scanner. Es gab ein kurzes Hin und Her, ein Für und Wider, aber die Kassiererin blieb stur. Sie wollte ihre fleckige Arbeitskleidung nicht ausziehen. Soviel Uneinsichtigkeit war an diesem Tag einfach zuviel für Annelore und sie schrie wütend auf die Frau ein. Riss und zerrte verzweifelt – ja nahezu hysterisch – am beklecksten Kittel der entsetzten Kassiererin. Erst die uniformierte Autorität der von besorgten Kundinnen herbeigerufenen Polizisten hatte Annelore langsam wieder beruhigen können.
    Nach diesem erniedrigenden Vorfall im Supermarkt suchte sie sich psychologische Hilfe und fand in Frau Dr. Bredenstedt eine kompetente Therapeutin.
    »Frau Hansen, Sie müssen lernen, Ihre Energien zu bündeln, um die Kraft und die Wut, die in Ihnen sind, neu zu fokussieren. Lassen Sie ihren Gefühlen freien Lauf, tun Sie sich und anderen Gutes und hören Sie damit auf, sich selbst zu bestrafen«, riet ihr die Therapeutin in einer der letzten Sitzungen. Annelore hatte die theoretischen Vorschläge befolgt und praktisch umgesetzt. Es ging ihr wirklich wesentlich
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