Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Titel: Der Tod kann mich nicht mehr überraschen
Autoren: Heike Vullriede
Vom Netzwerk:
lange Pause, die entstand, weil beide nichts sagten.
Schließlich fragte Marvin: »Wie kommen Sie jetzt alleine zu Hause zurecht?«
Mit einer Hand wischte Frederik seine Augen frei. »Es kommt ein Pfleger für ein paar Stunden am Tag.« Er hüstelte. »Tja, nichts kommt so, wie man es sich vorher denkt. Glauben Sie mir, es macht keinen Sinn, sich um die Zukunft zu sorgen.« Frederik legte seine Hand auf Marvins Schulter. »Vielleicht sehen wir beide uns am Ende noch einmal wieder.«
»An wessen Ende?«, fragte Marvin.
Frederik zuckte die Schultern. »Haben Sie Angst vor dem Tod?«
Marvin blickte zu Boden. Er fühlte die Bewegung seines Brustkorbes und spürte den satten Atem seine Lunge füllen. Um zu sterben bedurfte es lediglich ein paar Minuten ohne Sauerstoff. Jeder Mensch auf dieser Welt war dem Tod ebenso nah, wie er. Nur er war im Gegensatz zu den meisten darauf vorbereitet.
»Nein! Denn der Tod kann mich nicht mehr überraschen. Ich habe mich schon so häufig mit ihm befasst, dass ich glaube, ihn ertragen zu können, wenn es so weit ist.« Er schaute wieder zu Frederik herüber. »Und was denken Sie?«
Doch der sah ihn nicht an. Er starrte auf Karl.
»Ich kenne Sie!«, sagte er, von unten nach oben herauf. Seine Stimme klang beklommen, als wäre die Tatsache, Karl zu kennen, etwas Schlechtes.
Karl räusperte sich. Bevor Marvin die beiden dazu befragen konnte, fand er sich von Karl im Rollstuhl fort geschoben. »Wir müssen. Die anderen warten bereits«, drängte er.
Frederik rief ihnen noch etwas hinterher, doch Marvin verstand es nicht mehr. Sie waren bereits zu weit weg.
»Woher kennt er dich, Karl?«
»Keine Ahnung! Vielleicht vom Krankenhaus – ich mache als Pfarrer häufig Krankenbesuche in diesem Hause.«
Marvin sah zum ihm hoch und er brauchte nicht viel Fantasie, um die Verlegenheit seines Freundes zu bemerken, der seine Augen nach Drücken des ›Erdgeschoss‹-Knopfes stur auf die Fahrstuhltür richtete.
»Mach mir nichts vor! Er hat dich angesehen, als seist du eine schlechte Erinnerung. Also woher kennt er dich, Karl?«
Seufzend wandte sich Karl ihm zu. Einen alten Freund konnte er wohl nicht belügen.
»Ich besuchte den jungen Mann, von dem du gesprochen hast, André Hausner, du erinnerst dich?«
»Natürlich erinnere ich mich. Und warum warst du bei ihm?«
»Wir stritten!«
»Und?«
»Es ging um Geld. Ich drängte ihn, unsere Obdachlosen-Gruppe finanziell zu unterstützen, bevor er … na, du weißt schon.«
»Er war der undankbare junge Mann, den ihr aufgefangen hattet und der euch dann links liegen ließ, obwohl ihr Hilfe brauchtet?«
Karl nickte ärgerlich. »Er wollte sich mit diesem ›Gesocks‹ nicht weiter befassen! Schließlich wäre er keine Sozialkasse! Ich war wirklich wütend.«
Die Tür öffnete sich und Karl schob den Rollstuhl ziemlich ruckartig aus dem Fahrstuhl heraus.
»André zerriss das Testament, auf dem er uns zuvor bedacht hatte, vor meinen Augen. Der undankbare Kerl.«
»Stopp mal, Karl, stopp!«, rief Marvin.
Karl hielt an und blickte auf Marvins erschrockenes Gesicht.
»Was hast du getan, Karl?!«
Es schien, als überlegte Karl, was er sagen sollte oder aber, was Marvin eigentlich wissen wollte. Dann hob er erkenntnisreich sein Kinn in die Luft und stieß ein leises »Ahhhh« aus. »Marvin, du denkst doch nicht an so etwas wie Mord?!«
Marvin blinzelte ernst nach oben. »Ich weiß nicht, was ich glauben soll.«
Karl schüttelte grinsend den Kopf und schob ihn weiter in Richtung Ausgang.
»Marvin – du hast ja eine richtig kriminalistische Ader.«
»Und warum sagtest du letztens zu mir, du hättest etwas Schlimmes getan, was Gott eigentlich hätte strafen müssen?«
»Das hat doch nichts damit zu tun. Es geht um etwas anderes, eine Sache mit einem Freund.«
»Kenne ich ihn?«
»Darüber möchte ich nicht sprechen.«
Sie erreichten den Ausgang. Die kühle frische Luft vor der Tür der Klinik empfing Marvin mit solcher Gewalt, dass er von allen anderen Gedanken befreit wurde. Andächtig setzte er seine Mütze auf.

Im Van von Herrn König war genug Platz für alle. Trotzdem wollte Lisa mit Karl im eigenen Auto hinterher fahren.
Herr König redete viel unterwegs. Marvin hörte ihn reden, doch meistens sah er nach draußen. Er hatte ganz vergessen, wie schön eine lange Autofahrt sein konnte. Wie die Landschaft an den Augen vorbei flog, als liefe ein Naturfilm. Wunderschöne Landschaft! Weite Felder in verschiedenen Farben. Goldfarbene Ähren, deren Spezies Marvin als
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher