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Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Titel: Der Tod kann mich nicht mehr überraschen
Autoren: Heike Vullriede
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Stadtmensch nicht kannte, braune Erde und bunt belaubte Bäume. Der Herbst zeigte seine ganze Pracht. Marvin liebte den Herbst seit eh und je, doch so wie jetzt hatte er ihn noch nie genossen. Je weiter er blickte, desto mehr verschlang ihn das Fernweh. Am liebsten wollte er aus dem Auto aussteigen und ziellos über diese Felder laufen, der tiefstehenden Sonne entgegen. Einfach nur laufen, Luft atmen, Wind spüren. Das war das Leben! Das loszulassen, würde ihm schwerfallen.
Als sie in den Waldweg einbogen, schaukelte der Wagen heftig durch die tiefen, mit Regenwasser gefüllten Schlaglöcher und Marvin stieß sich den Kopf an der Seite des Autohimmels. Er war es offenbar nicht mehr gewöhnt, abrupte Bewegungen abzufedern und es erinnerte ihn daran, wie seine Mutter im Auto bei jeder leichten Bremsung auf dem Beifahrersitz haltlos mit dem Kopf nickte.
Herr König parkte unglücklich, direkt vor einer großen Pfütze, sodass der massige Mann in einem weiten Bogen um das Fahrzeug herum laufen musste. Genau betrachtet bestand der gesamte Parkplatz aus lauter Pfützen unterschiedlicher Größe und er hüpfte mit wippendem Oberkörper mehr oder weniger ungelenk zum Laderaum, um den Rollstuhl zu holen.
Lisa und Karl hatten ähnliche Probleme. Marvin sah ihnen beim Aussteigen zu. Schon jetzt versank Lisa im Wasser. So sollte sie also Recht behalten und der Matsch würde ihre Schuhe aufweichen. Entsprechend verdunkelte sich ihre Miene. Aber warum musste sie auch diese schicken, hellen Dinger anziehen, wenn sie auf Waldwanderung ging. Karl reichte Lisa die Hand und half ihr, über ein paar tiefe Wasserlachen hinwegzuspringen. Jetzt lachte sie und Marvin wunderte sich, wie schnell sie heute ihre Verstimmung überwand. Vielleicht beschwingte der Zauber der Natur auch ihr Gemüt.
Herr König rief nach Karl und die beiden entluden den Rollstuhl. Marvin staunte nicht schlecht – es war ein elektrischer Rollstuhl! Sie wollten ihn überraschen.
»Die Überraschung ist euch gelungen«, murmelte er.
Dass er sich über so etwas freuen konnte, hätte er nie gedacht. Sie gingen wohl doch davon aus, dass Marvin es noch längere Zeit benutzen könnte.
Sie übten ein bisschen auf dem Parkplatz. Es war eigentlich ganz einfach, doch Marvin fiel die Bedienung am Anfang etwas schwer. Nach ein paar Fehlversuchen und Flüchen klappte es jedoch. Er rollte selbstständig über den unebenen Boden und er fühlte sich für einen Moment wie ein Motocross-Fahrer im Sporteinsatz.
Um in den Friedhofswald zu gelangen, mussten sie eine Straße überqueren. Zu Marvins Erstaunen fuhren gut eine Handvoll Fahrzeuge diese abgelegene Straße entlang, sodass sie ziemlich lange auf eine ausreichend freie Fahrbahn warten mussten.
Er sah zu Lisa herauf.
»Warum hast du eigentlich nicht dein neues Haustier mitgebracht? Wie hieß er noch gleich? Hier im Wald hätte der kleine Wirbelwind doch sicher viel Spaß gehabt.«
»Habe ich dir das noch nicht erzählt?« Sie wirkte überrascht. »Toby bleibt jetzt doch bei unserer Nachbarin.«
»Du hast ihn abgegeben? Ich denke, du fühltest dich zu einsam.«
»Es geht mir besser.« Dabei lächelte sie, offenbar kein bisschen traurig über den kleinen Hund.
Zügig überquerten sie die Fahrbahn, da sich schon die nächsten Fahrzeuge näherten. Lisa, Karl und Herr König vorneweg, Marvin hinterher.
»Ich gehe kurz voraus und frage nach dem Förster.«
Damit verschwand der Bestatter auf dem Weg in ein kleines am Wald gelegenes Haus und sie warteten. In der feuchten Kühle des Waldes konnten sie ihren Atem sehen. Marvin zog seinen Kragen hoch. Er dachte noch immer daran, wieso sich seine Frau so schnell von dem, vor Wochen noch unentbehrlichen, Hund trennen konnte und er erinnerte sich an Jens und sein Hofieren um Lisa. Es ging ihr also besser? Wieso? Hatte sie wieder einen schönen großen Strauß von orangefarbenen Lilien bekommen oder gar rote Rosen? Da war es wieder, dieses beißende Gefühl, das Brennen im Bauch. Marvin wusste längst, dass er Lisa verloren hatte, doch er wollte es nicht wahrhaben. Sie hatte es ihm gesagt, damals, vor seiner Diagnose. Doch den Namen des anderen Mannes verriet sie ihm bis heute nicht. Aus Angst vor seiner Eifersucht.
»Ich kann immer noch nicht verstehen, warum du Toby abgegeben hast«, sagte er. Doch als er sich umdrehte, war niemand hinter ihm, sondern Lisa und Karl studierten eine Werbetafel an einem Baum. Plötzlich stolperte Lisa. Marvin sah es. Doch wie sollte er ihr so schnell helfen, vom
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