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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Autoren: Rupert Mattgey
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überwältigende Panorama der Alpen.
    „Dort hinten“, sagte der Wirt und deutete auf die breite Front zerklüfteter Felswände und Grate, die in einigen Kilometern Entfernung in den wolkenverhangenen Himmel ragten, „da ist der Grimboldgletscher. Sie können den Gletscher von hier aus nicht sehen, weil das Steinwaldhorn noch dazwischen liegt. Außerdem ist es heute zu bewölkt. Ist meistens so, gewöhnen Sie sich lieber dran. Wenn Sie am Steinwaldhorn vorbei sind, sehen Sie den Kleinen und den Großen Kirchner. Der Gletscher ist auf dem Großen Kirchner, und Thannsüß auch.“ Nebel und feiner Nieselregen tauchten den Spätnachmittag in ein graues Licht. Der Wirt räusperte sich. „Ich war seit mindestens zehn Jahren nicht mehr da oben.“
    „Warum nicht?“
    Der Wirt warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. „Als junger Mann war ich öfter da. Hab sogar beim Bau von zwei Häusern mitgeholfen. Aber dann ...“ Er kratzte sich am Kinn. „Ich hab dann einmal oben übernachtet. Bei der alten Gerda, in der Pension. So nannte sie ihre drei Zimmer jedenfalls. Pension.“ Er lachte kurz und trocken. Es klang wie das Bellen eines alten Hundes. Sein Blick war fest auf die Berge gerichtet. Die Gipfel waren in einem wogenden grauen Meer verschwunden. „Anfangs war auch alles in Ordnung. Ich war müde von der vielen Arbeit und bin schnell eingeschlafen. Aber nach zwei oder drei Stunden bin ich plötzlich aufgewacht. Ein lautes Krachen hat mich geweckt. Wie wenn man einen Baum fällt.“
    Der Lehrer nickte.
    „Wenn Sie einen Baum mit einer Axt fällen, und wenn der Baum dann schließlich abbricht, wenn der Stamm splittert und knickt und der Baum fällt, dann gibt das ein Geräusch, das man nie mehr vergisst. Und so klang das Krachen, das ich in jener Nacht in Thannsüß gehört habe. Nur hundertmal lauter. Und wissen Sie was? Das war der Gletscher. Was mich geweckt hat, war das berstende Eis.“ Er blickte zur Seite und sah den Lehrer direkt an. „Ja, das Eis. Ich kenne mich nicht aus mit Gletschern. Aber ich weiß, dass ein Gletscher nicht still da liegt wie ein Stein. Er bewegt sich. Er wandert. Tagsüber schmelzen Teile ab, nachts gefriert alles wieder. Dadurch ist er immer in Bewegung. An manchen Stellen reißt dann das Eis auf und neue Spalten entstehen. Und peng!“ Er schlug die Handflächen aneinander. Der Lehrer zuckte zusammen.
    „ Das Eis splittert! Das Krachen, das mich geweckt hat, kam aus dem Gletscher. Direkt aus dem alten Grimbold. Ich weiß nicht genau warum, aber das hat mir eine Heidenangst eingejagt. Ich hab die ganze Nacht kein Auge mehr zugetan.“ Sein Blick war jetzt wieder auf die Berge gerichtet. „Vielleicht war es der Gedanke, dass dieses ... dieses Ding sich direkt über mir bewegt.“
    Der Lehrer schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht ganz folgen.“
    „ Thannsüß liegt genau unter dem Gletscher“, sagte der Wirt. Ungeduld lag in seiner Stimme. „600 Meter unter dem Grimbold. Hat man Ihnen das nicht gesagt?“
    „Nein“, sagte der Lehrer. Sein Mund fühlte sich mit einem Mal trocken an. „Das hat man vermutlich vergessen.“
    „Der Grimbold ist ein Hängegletscher, so nennt man das. Er hängt über dem Ort wie eine fette, überreife Frucht. Wenn Sie mich fragen, sieht es so aus, als würde ein Windhauch genügen, um ihn loszureißen.“ Er lachte kurz und rau, und wieder fühlte der Lehrer sich an das müde Bellen eines Hundes erinnert. „Es ist lange her, dass ich mit jemandem darüber gesprochen habe. Glauben Sie mir, ich will Ihnen keine Angst einjagen. Es ist ja auch nie etwas passiert. Der Grimbold hängt dort schon länger, als es Menschen hier gibt. Aber wenn Sie ihn sehen, werden Sie wissen, was ich meine.“
    „Ich bin gespannt“, sagte der Lehrer und wünschte, er hätte die Wirtschaft nie betreten. „Verraten Sie mir jetzt, wie ich hinkomme?“
    Der Wirt nickte und deutete auf die Straße. „Bleiben Sie auf der Hauptstraße. Nach etwa einem Kilometer kommen Sie an eine Kreuzung. Dort geht es rechts nach Weißenbach, aber das ist die falsche Richtung. Sie müssen links abbiegen. Dann sind Sie auf der Landstraße.“
    „Ja“, sagte der Lehrer. „Auf der Landstraße war ich schon. Aber dann habe ich wohl die falsche Abzweigung genommen.“
    „Es ist ein ganz schönes Stück bis zur Abzweigung nach Thannsüß. Ich schätze mal, so zehn Kilometer.“
    „Aha.“
    Der Wirt hielt inne und musterte den Lehrer von der Seite. „Haben Sie von dem
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