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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Autoren: Rupert Mattgey
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Moment in sich aufzunehmen. Hinter ihm lag der Laubwald, und als er sich umsah, schweifte sein Blick über die Wipfel der Bäume, die unter ihm aus dem Nebel ragten. Selbst in der Dämmerung konnte er die satten Gelb- und Brauntöne ausmachen, die der Herbst über den Wald gelegt hatte. Weit darunter im Tal durchschnitt die Landstraße den Wald wie ein schwarzer Fluss, bis sie hinter den Felsmassen des Steinwaldhorns verschwand. Noch kannst du umkehren, dachte er. Such dir eine Pension in Bruch und fahr morgen in aller Frühe zurück nach München. Fahr zurück zu Marie und deinem Kind.
    Er sog tief die frische Luft ein, und sie schmeckte nach Regen, feuchtem Gras und Tannennadeln. Nein, ermahnte er sich selbst. Diesmal wirst du nicht davonlaufen.
    Der Weg vor ihm führte über die weite Gletschermoräne direkt auf die Gletscherzunge zu, die sich die Flanke des Gipfels herunterwand wie ein Band aus Silber. Wo die Eiszunge endete, konnte er einen Bach ausmachen, der von einer hölzernen Brücke überspannt wurde. Das Wasser des Baches war weiß. Dahinter stieg der Weg steil an, bis er sich schließlich zwischen den dunklen Tannen verlor. Hinter der Gletscherzunge erkannte er in der Ferne den Gipfel des Kleinen Kirchners und noch einige weitere Gipfel, deren Namen er nicht kannte. Du wirst noch genug Zeit haben, dir jeden einzelnen Gipfel einzuprägen, dachte er. So viele Jahre. Wieder spürte er das Ziehen in seiner Brust. Wenn du es nicht mehr aushältst, verschwindest du einfach. Steigst in dein Auto und bist weg. Aber wer weiß, vielleicht wird es gar nicht so schlimm.
    Aber das Ziehen in seiner Brust ließ nicht nach. Je länger er darüber nachdachte, desto stärker wurde es.
     
    Ihn fröstelte. Er stieg in den Wagen, schlug die Tür hinter sich zu und drehte die Heizung höher. Dann gab er Gas und folgte dem Feldweg über die Ebene. Unter dem Geröll der Gletschermoräne war der Weg vom Regen aufgeweicht. Mehrmals konnte er ein Ausbrechen des Wagens nur durch ein plötzliches Herumreißen des Steuers verhindern. Langsam rückten die Wände und Grate des Großen Kirchners näher, bis der steile Gipfel schließlich sein gesamtes Blickfeld einnahm. Nach einiger Zeit kam er zu der Holzbrücke, die er bereits von weitem gesehen hatte. Unter der Brücke rauschte der Schmelzwasserfluss hindurch. Aus dem rechten Seitenfenster sah er die Gletscherzunge, die jetzt nur noch wenige Meter von ihm entfernt war. Von Nahem betrachtet war die meterhohe Eisschicht grau und mit Steinen und Dreck überzogen. In der Dämmerung wirkte das Eis beinahe schwarz.
    Er riss den Blick von der Gletscherzunge los und lenkte den VW vorsichtig über die Holzbrücke. Die nassen Planken glänzten im Licht der Scheinwerfer. Über das Rauschen des Schmelzwassers hinweg hörte er das Ächzen und Knirschen des Holzes, als der Wagen die Brücke überquerte. Dann war er auf der anderen Seite. Vor ihm ragte ein dichter Tannenwald in den Himmel. Der VW Käfer erklomm die Steigung, die Scheinwerfer tanzten durch die Dämmerung wie schwankende Laternen. Dann tauchte er in den Wald ein. Die Tannen standen dicht gedrängt. Über den Wipfeln trieben am dunklen Himmel die Wolken dahin. Bald lag die Ebene weit unter ihm. Der Lehrer gähnte und schluckte, um den Druck in seinen Ohren auszugleichen. Schließlich bemerkte er rechterhand den schwarzen Umriss eines Förderturms, der drohend über den Tannen aufragte. Dies musste d as alte Bergwerk sein, von dem der Wirt in Bruch gesprochen hatte.
    Er fuhr langsamer und sah aus dem Seitenfenster. In der Dunkelheit konnte er einen Pfad ausmachen, der vom Feldweg abzweigte und in Richtung des Förderturms fü hrte.
    Plötzlich sprang ein schwarzer Schatten zwischen den Stämmen der Tannen hervor. Eine mannshohe dunkle Gestalt huschte über den Pfad und verschwand auf der anderen Seite zwischen den Bäumen. Der Lehrer stieß ein erschrockenes Keuchen aus. Sein Fuß rutschte vom Gaspedal. Der Wagen ma chte einen jähen Satz nach vorn, das Geräusch des Motors erstarb. In der Stille hörte der Lehrer das Blut in seinen Ohren rauschen. Was war das, dachte er. War das ein Mensch? Ein Tier?
    Seine Hände zitterten, und er schloss sie fester um das Lenkrad. Er drehte den Zündschlüssel im Schloss. Nichts geschah. Er warf einen nervösen Blick aus dem Seitenfenster. Mittlerweile war es so dunkel, dass er den Pfad nur noch erahnen konnte. Wo die Lichtkegel der Scheinwerfer endeten, begann eine Dunkelheit, die von Minute zu
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