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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Autoren: Rupert Mattgey
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Marie betrachtet und sich gewünscht, er könnte schlafen wie sie. So tief, so ruhig.
    Elf Jahre, dachte er. Elf Jahre ist es her, und noch immer fühlst du jeden Wetterumschwung.
    Er hob sein rechtes Bein leicht an, verzog das Gesicht und ließ es zurück auf den Sitz sinken. Er schob die Kniescheibe mit dem Handballen zur Seite und fühlte ein Stechen, das ihn das dumpfe Pochen in seinem Bein für einen Augenblick vergessen ließ. Er atmete tief durch, drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und schloss das Fenster. Das Rauschen des Regens wurde leiser. Er startete den Wagen, wendete und fuhr den Weg zurück, den er gekommen war. Die Stoßdämpfer knarrten, während er den Wagen durch die tief ausgespülten Fahrrinnen des Feldwegs steuerte. Die warme Luft aus dem Gebläse trocknete das Kondenswasser, das sich auf den Scheiben gebildet hatte. Als er die Hauptstraße erreichte, bog er links ab und folgte der Straße durch den Nebel zurück nach Bruch.
     
    Er hielt auf dem Parkplatz vor der Wirtschaft und stieg aus. Der Regen hatte nachgelassen, die Luft war kühl und feucht. Er schlug den Mantelkragen hoch und lief über den geschotterten Parkplatz zur Eingangstür. Über der Tür wies ein Blechschild den Namen der Wirtschaft als „Zum Goldenen Hirschen“ aus. Die Farbe des Schildes war teilweise abgeblättert. Er stieß die Tür auf und betrat den Schankraum. Die Wirtschaft war leer. Kein Licht brannte, und das wenige Tageslicht, das durch die kleinen, gelb getönten Fensterscheiben fiel, vermochte den Raum nicht ausreichend zu erhellen. Er trat an die große Theke, die von fünf polierten Zapfhähnen beherrscht wurde. Die Ablage war nahezu vollständig mit gebrauchten Gläsern zugestellt. Die Luft roch nach Schweinebraten, verschüttetem Bier und kaltem Rauch. Der Schweinebraten roch gut.
    „Wir haben geschlossen!“, rief eine Stimme aus dem Halbdunkel des Schankraums.
    Er wandte sich um.
    „Mittagstisch von elf bis drei, wenn Sie Abendessen wollen, kommen Sie um halb sechs wieder.“ Eine massige Gestalt schälte sich aus dem rauchgeschwängerten Zwielicht. Der Wirt sammelte ein paar Gläser von den Tischen ein, stellte sie auf sein Tablett und ging damit zur Theke. „Wir haben geschlossen. Sie müssen später wiederkommen.“
    „ Ich bitte um Verzeihung“, sagte er. „Ich wollte Sie nur nach dem Weg fragen. Ich muss hinauf zum Gletscher, aber ich finde die richtige Abzweigung nicht.“
    Der Wirt warf sich ein Geschirrtuch über die Schulter und musterte ihn. „Zum Gletscher? Der Gletscher ist groß.“
    „Ich will nach Thannsüß.“
    Der Wirt betrachtete ihn ohne zu blinzeln und wischte sich die Hände langsam am Geschirrtuch ab. „Nach Thannsüß“, murmelte er schließlich.
    „Sie kennen den Ort?“
    Der Wirt nickte. „Es ist schon seltsam. Zehn Jahre lang hab ich den Namen nicht mehr gehört, und in diesem Jahr sind Sie schon der Zweite, der mich danach fragt.“
    „Der Zweite?“ Der Lehrer spürte ein Kribbeln im Nacken. „Wer war er andere? Hat er seinen Namen gesagt?“
    Der Wirt sah ihn einige Sekunden stumm an. „Nein“, sagte er schließlich gedankenverloren. „Ein junger Pfarrer war hier, etwa in Ihrem Alter. Seinen Namen hat er nicht gesagt. Ich dachte noch: Endlich Ablösung für den alten Hellermann! Tja.“ Wieder suchten seine Hände das Geschirrtuch. Er rieb sie langsam daran, so als hätte er eine hartnäckige Fettschicht auf den Handflächen, die einfach nicht abgehen wollte. „Was wollen Sie denn da oben?“, fragte er schließlich.
    „Ich bin der neue Lehrer.“
    „Der neue Lehrer. So.“ Der Wirt nahm eines der gebrauchten Gläser von der Theke und tauchte es ins Spülbecken. Jeder Handgriff wirkte langsam und bedächtig. Schließlich blickte er auf. „Da oben gibt es doch nichts.“
    Der Lehrer spürte Ungeduld in sich aufflackern. Und noch etwas anderes: Ein merkwürdiges Ziehen in den Eingeweiden. Er atmete tief durch. „Nun, zumindest gibt es dort eine Schule, denn ich werde dort unterrichten.“
    „Der Einzige, der noch regelmäßig zum Gletscher hochfährt, ist der junge Halbermaß. Der Postmann.“
    „Ich schätze, dann sind wir jetzt zwei. Können Sie mir sagen, wie ich hinkomme?“
    „Ja“, sagte der Wirt schließlich. „Natürlich.“ Er trocknete seine Hände am Geschirrtuch ab. „Kommen Sie.“ Er ging zum Eingang und hielt ihm wortlos die Tür auf.
    Der Lehrer trat ins Freie und sog die frische Luft ein. Vor ihm erstreckte sich das
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