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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Autoren: Rupert Mattgey
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Füßen. Er lief auf dem erhöhten Mittelstück. Eine ferne Ahnung vergangener Schmerzen pochte in seinem Bein, aber das Humpeln, das ihn die ersten Jahre nach seiner Verwundung begleitet hatte wie ein enger und dennoch verhasster Freund, war vollständig abgeklungen. Manche Freunde vermisst man nicht, wenn sie einmal fort sind, dachte er.
    Der Weg führte steil bergauf. Der Gipfel des Großen Kirchners lag irgendwo vor ihm, aber er konnte seinen Umriss über den Baumwipfeln nur erahnen. Die Finsternis war allumfassend. Plötzlich hörte er ein Rascheln im Unterholz. Er blieb stehen und starrte in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Das Rascheln verstummt e. Seine Hand umfasste den Schraubenschlüssel fester.
    Als er weiterlief, erklang das Rascheln im Wald erneut. Er beschleunigte seine Schritte, doch das Rascheln blieb auf gleicher Höhe mit ihm. Was auch immer da im Wald war, es hielt mit ihm Schritt. Er blieb abrupt stehen, und das G eräusch erstarb augenblicklich.
    „Wer ist da?“, flüsterte er.
    Sein Atem ging schwer und rasselnd. Von irgendwoher erklang mit einem Mal ein leises, hohes Heulen. Es kam von oben, von vorne und von den Seiten. Es war überall um ihn herum. Die Tonhöhe schwankte, stieg noch einmal an, dann riss das Heulen ab. Neben ihm in der Dunkelheit zerbrach krachend ein Ast.
    Er rannte los. Gleichzeitig hörte er das Rascheln im Unterholz wieder. Er lief schneller, doch das Rascheln folgte jedem seiner Schritte. Der Seesack auf seinem Rücken hüpfte auf und ab. Der Gurt schnitt ihm in Schulter und Hals. Der Schraubenschlüssel in seiner Hand fühlte sich schwer und nutzlos an. Er hörte seinen eigenen keuchenden Atem. Das Rascheln im Dickicht wurde lauter. Seine Augen suchten hektisch den Waldrand ab. Zwischen den Stä mmen war nichts als Finsternis.
    Plötzlich fühlte er, wie der Boden unter seinen Füßen wegrutschte. Er konnte die Wucht des Aufpralls mit den Armen abfangen, bevor er der Länge nach hinschlug. Der Schraubenschlüssel flog ihm aus der Hand.
    Er rang nach Luft. Stille umgab ihn. Er lauschte auf das Rascheln, wartete darauf, dass etwas aus dem Dickicht brach, aber nichts geschah. Er lag lange in der Dunkelheit ohne sich zu rühren. Als sein Herzschlag sich endlich beruhigt hatte, stand er zitternd auf. Dreihundert Meter vor ihm kämpfte ein schwacher Lichtschein gegen die Finsternis an. Die Lichtquelle schaukelte durch die Luft, als würde jemand mit einer Laterne winken. Ihr Schein vermochte den Weg nur spärlich zu erhellen, aber der Lehrer glaubte, eine Gestalt in der Dunkelheit erkennen zu können. Sie schwenkte die Laterne, als wollte sie ihn zu sich rufen. „Hallo!“, schrie er. „Warten Sie. Ich komme!“ Er lief auf den Lichtschein zu. Der Boden unter seinen Füßen war glitschig, und er hielt den Blick auf die Erde geheftet. Schließlich hielt er erschöpft inne und sah auf. Sein Atem brannte in seinen Lungen. Das Licht, das er von weitem gesehen hatte, ging von einer schmiedeeisernen Laterne aus. Sie hing an einem hölzernen Pfahl und schaukelte langsam im Wind hin und her. Da war niemand, der auf ihn wartete. Niemand, der ihn zu sich winkte.
    Er war allein.
    Im Inneren der Laterne brannte eine elektrische Glühbirne. Ihr Licht zeigte ihm einen Holzzaun, und dahinter ein großes Gebäude, dessen Umriss sich in der Finsternis verlor. Ein Windstoß rauschte über die Wipfel der Tannen heran. Die Laterne schlug klappernd gegen den Pfahl. Ihr Licht tanzte über den Feldweg. Der Lehrer sah sich zögernd um. Ein Hund bellte irgendwo in der Dunkelheit vor ihm, und ein zweiter stimmte ein. Dann brach das Bellen plötzlich ab, und Stille senkte sich über die Häuser. Der Lehrer hatte den Ortseingang von Thannsüß erreicht.

K apitel 3
     
    Er trat in den Lichtkegel der Laterne und sog gierig Luft in seine Lungen. Er befand sich auf der Hauptstraße des Ortes, wenn man die schmale Schotterpiste überhaupt so nennen konnte. Rechts von ihm erhob sich massiver Fels in den Nachthimmel. Die Wand schoss senkrecht in die Höhe, bis sie in die Wolken eintauchte. Der Gletscher auf dem Gipfel des Großen Kirchners blieb seinen Blicken verborgen. Der Gedanke an die Eismassen, die sich über die Kante des Gipfels wölbten, schickte einen Schauer über seinen Körper.
    Einfache Holz- und Steinhäuser säumten die Straße. Aus einigen Fenstern ergoss sich warmes Licht auf den Schotter. Andere Häuser waren dunkel und wirkten verwaist und kalt. Über vielen
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