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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Autoren: Rupert Mattgey
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an der Wand über dem Tisch blieb sein Blick hängen. Auf einer Ablage unter dem Kreuz hatte jemand getrocknete Blumen vor einem Bild der Mutter Gottes drapiert. Sie hielt ihr Kind in ihren Armen. Auf den Blumen lag Staub. Die alte Frau beobachtete ihn genau. „Sind Sie ein gläubiger Mensch, Herr Lehrer?“
    „Ja“, log er.
    „Hier oben in den Bergen zählt der Glaube noch mehr als unten in der Stadt. In der Stadt haben die Menschen immer wichtigere Dinge zu tun. Aber wir hier oben, wir glauben an Gott. Und an den Teufel.“ Sie blickte ihm streng ins Gesicht. „Ich würde Ihnen raten, den Kamin anzuheizen“, sagte sie nach einer langen Pause. „Wir hatten schon den ersten Frost. Ich habe die Truhe mit Holz gefüllt.“
    Erik ließ seinen Blick durch sein zukünftiges Zuhause wandern. Vor dem Kamin waren zwei Sessel platziert. Sie wirkten alt und abgewetzt, sahen aber bequem aus. Dazwischen stand ein kleiner runder Holztisch. Neben dem Kamin befand sich ein leeres Bücherregal, daneben ein rechteckiges Fenster. Ein einfacher Waschtisch stand darunter. In der Wand zu seiner Linken, über den beiden Betten, befand sich ein weiteres Fenster, und darunter ein Nachtkästchen. Die Eingangstür wurde von einer Garderobe und einem wuchtigen Kleiderschrank flankiert. Er wandte sich zu der Frau um. „Schön. Das Zimmer gefällt mir.“
    Sie nickte. „Der Abort ist draußen auf dem Hof. Unter dem Bett steht ein Nachttopf, benutzen Sie den, wenn Sie nicht rausgehen wollen.“ Sie sah ihn unverwandt an. Ihre Mundwinkel waren nach unten gezogen, als hingen tonnenschwere Gewichte daran. Erik fragte sich, ob die Frau jemals lächelte.
    „Hier oben laufen die Dinge eben ein wenig anders als in der Stadt.“ Ihre Stimme klang halb entschuldigend, halb vorwurfsvoll. „Wir leben einfach. Wir haben nicht viel. Wir kommen ohne Luxus zurecht.“
    „Es ist wunderbar.“
    Sie stieß einen Seufzer aus. Ihre verkniffenen Gesichtszüge glätteten sich. „Schön.“ Sie streckte ihm die Hand hin. „Ich bin Anna, die Wirtschafterin. Ich arbeite seit mehr als vierzig Jahren für den Herrn Pfarrer.“
    Etwas überrascht ergriff er die ihm dargebotene Hand. „Ich bin Erik“, sagte er. „Freut mich.“
    „Ich werde Ihnen gleich noch eine Kleinigkeit zu Essen bringen, sobald ich in der Kirche fertig bin. Aber viel habe ich nicht mehr. Wir haben Sie zum Mittagessen erwartet, nicht zum Nachtmahl.“
    „Eine Kleinigkeit genügt mir.“
    „Die Lampe nehme ich wieder mit. Sie haben hier Ihre eigenen.“ Sie deutete auf eine Petroleumlampe, die an einem Haken an der Wand neben der Tür hing, dann auf eine zweite Lampe auf dem Nachttisch zwischen den beiden Betten. „Ich bin in einer halben Stunde wieder da. Heizen Sie ein, es wird kalt werden.“ Sie warf ihm einen letzten Blick zu, bevor sie durch die Eingangstür in die Nacht hinaustrat.
    Dunkelheit senkte sich über den Raum, nachdem die Wirtschafterin das Zimmer verlassen hatte. Erik zog sich den Gurt des Seesacks über den Kopf und ließ sein einziges Gepäckstück zu Boden gleiten. Er stöhnte und streckte sich, um seinen schmerzenden Rücken zu entkrampfen. Von der Decke hing eine nackte Glühbirne, und er zog probeweise an der Kordel, mit der man sie ein- und ausschalten konnte, aber ohne Ergebnis. Er nahm die Petroleumlampe vom Haken neben der Tür und entzündete sie mit seinem Feuerzeug. Nachdem er das schützende Glas über den Docht gestülpt hatte, brannte die Flamme ruhig und gleichmäßig und hell. Sie tauchte den Raum in warmes Licht.
    So also sieht deine Zukunft aus, dachte er und sah sich nochmals im Zimmer um. Die Zukunft ist ein Gästehaus am Fuße des Gletschers.
    Er presste die Lippen zu schmalen Strichen zusammen. Dann rieb er die kalten Hände aneinander. Er öffnete die Holztruhe neben dem Kamin, nahm einige Scheite heraus und schlichtete sie auf, wie er es als Kind gelernt hatte. Freunde hatten ihm gezeigt, wie man ein Feuer macht. Sein Vater hatte nie Zeit dafür gefunden. Er war meistens fort gewesen, weit weg von zuhause, irgendwo über den Wolken. Und wenn er einmal da war, dachte Erik, haben wir uns gewünscht, er wäre fort.
    Er verdrängte die Gedanken an seinen Vater, die plötzlich gekommen waren, aufgestiegen aus dunklen Spalten, in die das Licht der bewussten Erinnerung nur noch selten dran g.
    Er kniete vor dem Kamin und beobachtete, wie die Flammen höher schlugen. Dann trat er an das Fenster zwischen den beiden Betten. Das Licht der
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