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Der Tag des Königs

Der Tag des Königs

Titel: Der Tag des Königs
Autoren: Abdellah Taïa
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nicht. Ich träume nicht mehr.
    Der König lässt mich los.
    Ich falle. Ich liege auf dem Boden. Allein.
    Eine Frau nähert sich mir. Sie haucht mir einen Berbergesang ins Gesicht. Sie richtet mich auf. Ich lasse es mit mir geschehen. Sie hört auf zu singen. Sie ist sanft. Sie sagt mir auf Arabisch ins linke Ohr: »Geh zu ihm, geh zu dem König, er ist wie dein Vater. Er ist dein Vater.« Und sie stößt
mich gewaltsam in seine Richtung. Mit dieser Gewalt, mit diesem Verrat habe ich nicht gerechnet.
    Ich bin nichts mehr.
    Ich falle erneut.
    Ich liege auf dem Boden, zu Füßen des Königs, der mich anblickt. Seine Augen wirken jetzt anders. Sie sind im Dunkeln.
    Der König lacht. Laut.
    Er hört auf zu lachen. Ganz unvermittelt.
    Dann lachen die Frauen, laut, sehr laut und böse. Sie sagen alle im Chor zu mir: »Er ist dein Vater, geh hin, geh hin. Er ist dein Vater. Er ist dein Vater.«
    Â 
    Ich schrak hoch.
    Ich hatte geschlafen.
    Jetzt schlief ich nicht mehr. Ich war wach. Im Dunkeln. Auf dem Boden. Allein in dem armseligen Zimmer. Inmitten der Schnarchlaute meines Vaters.
    Ich hatte Angst. Mein Herz auch: Bald würde es aufhören zu hämmern.
    Ich konnte mich nicht an meinen Traum erinnern, an den schwarzen Traum dieser Frühsommernacht, der noch in mir war.
    Ich erinnerte mich an nichts.
    Wo ist mein Kopf? Wo sind meine Füße? Und meine Haut?
    Ich suche sie. Ich starre ins Dunkel und suche sie.
    Ohne zu verstehen, sagte ich, rief ich: »Nein, nein, er ist nicht mein Vater. Der König ist nicht mein Vater.«
    Und ich brach in Tränen aus. Heiße Tränen. Immer noch voller Angst. Ohne mein Herz zu spüren. Dann schlief ich wieder.
    Träumte.
    Â 
    Ich bin am Fuße des Throns. Zu Füßen meines Gebieters. Mein Glück ist verflogen. Meine Liebe ist verflogen. Ich bin ein Verurteilter. Ein Narr des Königs.
    Ich weine. Lange?
    Ich ringe nach Luft.
    Der König macht »Psssst!«.
    Die anderen Frauen machen »Psssst!«.
    Ich höre auf. Zu leben.
    Mit gesenktem Kopf richte ich mich auf. Ich will sprechen. Ich wage es nicht. Ich will etwas sagen, das mir gerade eingefallen ist. Eine Antwort, die ich für intelligent halte. Ich wage es nicht, ich wage es nicht.
    Ein schwarzer Diener kommt auf mich zu. Er sagt zu mir: »Nachher wird deine Strafe schlimmer sein, schlimmer als alles. Du musst vor uns allen nackt den Bauchtanz aufführen.«
    Vor dem König?
    Einen Augenblick lang bin ich glücklich: Ich war immer gerne nackt.
    Dann erfüllt mich panische Angst.
    Ich brülle meine Antwort.
    Â»Sie sind König Hassan ben Mohammed.«
    Ich bin erleichtert. Es ist mir eingefallen. Der König lächelt. Ich sehe seine weißen, zu weißen Zähne. Sie schimmern. 
    Er hebt die rechte Hand, gibt einem weißen Diener ein knappes Zeichen. Dieser kommt sofort auf mich zu und verpasst mir eine Ohrfeige. Eine gewaltige Ohrfeige auf die rechte Wange. Ich falle hin. Er hilft mir wieder auf. Er gibt mir eine weitere Ohrfeige auf die linke Wange. Ich falle hin. Er hilft mir wieder auf und sagt zum König: »Auftrag erfüllt, Majestät.« Und er entfernt sich.
    Er ist kein weißer Diener mehr. Aus ihm ist ein schwarzer Diener geworden.
    Es tut weh. Sehr weh. Gleich muss ich mich übergeben. Tränen rinnen in Strömen aus meinen Augen.
    Der König scheint Mitleid mit mir zu haben. Er betrachtet mich freundlich, sehr freundlich. Er sagt, ich solle meine Tränen abwischen. Ich gehorche.
    Er steht auf. Schnippt mit den Fingern. Drei Mal. Alle senken die Köpfe und verdecken die Augen mit der Hand. Bis auf mich. Ich mache es den anderen nach, ich senke den Kopf, aber ohne die Augen zu schließen. Der König sagt nichts.
    Nun herrscht eine beeindruckende Stille, wie ich sie noch nie erlebt habe.
    Der König steht da. Drei schwarze Diener, schwärzer als die anderen, umringen ihn. Sie entkleiden ihn. Vollständig. In aller Schnelle.
    Sie ziehen ihm alle Kleidungsstücke aus. Sogar die Unterhose.
    Der König ist nackt.
    Ich habe es gesehen.
    Ich senke den Kopf noch tiefer. Und dieses Mal schließe ich wirklich die Augen. Ich will dieses unmögliche, unvorstellbare Etwas nicht sehen: Hassan II ., nackt! Ich will dieses Verbrechen nicht begehen. Ich will leben. Leben an der Seite der Sonne dieses Tages.
    Ich verharre lange Zeit so. Eine ganze Nacht vielleicht.
    Ich schlafe ein.
    Ich werde
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