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Der Tag des Königs

Der Tag des Königs

Titel: Der Tag des Königs
Autoren: Abdellah Taïa
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waren. 
    Khalid hatte meinen Traum angehört. Meinen Alptraum. Mein Einstellungsgespräch, das schiefgegangen war. Nein, ich würde niemals ein Spaßmacher des Königs werden. In meinem tiefsten Inneren jedoch wäre ich es gerne geworden. Dann hätte sich mein Leben und das meiner Familie grundlegend verändert. Vor allem das Leben meines unglücklichen Vaters, der seit zwei Monaten so unglücklich war, dass er mit dem Rauchen aufgehört hatte.
    Nein, ich habe kein Glück, nicht einmal im Traum.
    Ich würde Hassan II . nicht sehen. Ich würde nicht in seine Dienste treten. Ich würde keiner seiner Lakaien sein. Ich würde ihn nicht zum Lachen bringen. Ich bin eine Null. Weder schwarz noch ein Zwerg, noch schön. Keine besonderen Merkmale, von der Armut mal abgesehen. Aber Armut ist kein besonderer Wesenszug. Ich bin nicht der einzige Arme in Marokko.
    Deshalb klammerte ich mich andauernd an Khalid. Ganz verbissen.
    Khalid heißt Khalid El-Roule.
    Ich bin Omar Fakih.

Juni 1987
    Â 

Mittwoch
    Mein Vater kam mich wecken. Seine Augen waren rot. Natürlich hatte er nicht geschlafen. Er hatte die ganze Nacht geweint, das sah man sofort.
    Mein Vater weint.
    Mein marokkanischer Vater weint.
    Alles andere als vorbildlich für mich, dieses Verhalten. Ich darf nicht so werden wie er. Bloßer Anschein eines Mannes. Verfall eines Mannes.
    Es war noch Nacht. Er murmelte meinen Vornamen im Dunkeln. Ich erwachte sofort. Ich stand auf und sagte: »Mach Licht, mach Licht, Vater. Mach Licht, mach Licht für uns.« Er regte sich aber nicht. Ich konnte seine Gestalt, sein Gesicht kaum erkennen. Er war schwarz. Ich war schwarz. Er war nackt, ohne die Maske des Vaters. Und so wollte er sich mir nicht zeigen, schwach und bloßgestellt. Verständlich, oder nicht?
    Ich bat ihn von neuem: »Mach Licht, mach Licht, lieber Vater. Mach Licht, mach Licht für uns.«
    Er kam meiner Bitte nach und kehrte mir sogleich den Rücken zu.
    Er war tiefschwarz. Er weinte noch. Ich sah ihn, ich hörte ihn. Ich nahm ihn in mir auf. Und ich wusste warum. Ich wollte ihm Trost zusprechen, seine Tränen trocknen, ihm schwören, dass ich ihn eines Tages rächen würde. All das tat ich aber nicht. Ich wagte es nicht. Er war schließlich mein Vater. Der Mann im Haus. Ganz offiziell. Für alle Zeiten. Ihm Zärtlichkeit zu erweisen, besonders in diesem Augenblick großer Schwäche, in diesem Augenblick der Schande, hätte ihm den Rest gegeben. Ein Mann leidet
nicht. Ein Mann hat Mumm. Wird mit allem fertig. Ein Baum in der Wüste, robust, komme, was da wolle. Das brachte er mir allabendlich bei, früher, vor zwei Wochen noch, als er von der Arbeit nach Hause kam. Ich glaubte ihm. Ich glaube ihm immer noch.
    Mein Vater wird sterben.
    Ich kann nichts dagegen tun.
    Ich kann ihm nicht mehr helfen.
    Er geht unter. Er lässt sich fortreißen.
    Mein Vater ist im Sterben begriffen. Die Wüste hat gesiegt.
    Wir waren schon seit sehr langer Zeit mit Schande bedeckt. Unser Ruf im Viertel war schlecht. Und sogar über das Viertel, über die Stadt Salé hinaus. Und wer war schuld? Meine Mutter. Meine Mutter, die nie wirklich eine gewesen ist. Meine Mutter, die von unseren Nachbarinnen »die Böse«, »die Nutte«, »die Hexe«, »die Hure«, »die Fremde« genannt wurde, war weggegangen. Sie war in ihr Kaff in der Nähe von Azemmour zurückgekehrt. Sie hatte uns im Stich gelassen. Wieder einmal. Für immer. Mein Vater und ich wussten, dass sie nie wieder zurückkommen würde.
    Wir waren von nun an allein. Ohne Frau.
    Was wird aus Männern ohne Frauen?
    Meine Mutter war keine Frau. Ich hasste sie. Die Heirat war nur ein Stück Papier für sie. Sie sprach kein Wort. Wenn sie den Mund aufmachte, dann nur um immer denselben Satz zu sagen: »Ich bin frei.« Und das stimmte, sie hatte nie auf ihre Freiheit verzichtet. So, dass fast alle sie als Hure betrachteten.
    Das große Ereignis unserer Existenz muss sich zugetragen haben, als ich neun oder zehn war. Meine Mutter hatte es sorgfältig eingefädelt. Sie war sich ihres Coups sicher.
Die Revolution, ein für alle Mal. Schlagartig. Sie entthronte meinen Vater von einem Tag auf den anderen. Sie übernahm die Macht einfach so, mit links. Sie hatte das Wort ergriffen: Von nun an würde sie unser Leben lenken. Mein Vater, immer schon leidenschaftlich in sie verliebt, wehrte sich
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