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Der Tag des Königs

Der Tag des Königs

Titel: Der Tag des Königs
Autoren: Abdellah Taïa
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Er war sonderbar. Sonderbarer als sonst. Orientierungslos, auch er.
    Er sagte: »Nächste Woche werde ich Hassan II . kennenlernen.«
    Er hätte eigentlich glücklich, entzückt sein sollen. Er war es nicht. Er dachte nur an das Eine, den König und wie er ihm die Hände zu küssen hatte.
    Er fügte hinzu: »Willst du mir nicht beibringen, wie man es richtig macht? Wärst du so nett?«
    Ich antwortete ihm, dass mich seine Mutter weggejagt hatte.
    Â»Dann verbringst du deine letzte Nacht bei mir im Zimmer. Niemand wird es erfahren.«
    Stumm probten wir die ganze Nacht. Er spielte Hassan II . Ich spielte Khalid. Dann umgekehrt.
    Ohne zufriedenstellendes Ergebnis.
    Nach einer Stunde wurde die Übung ulkig.
    Wir begannen zu lachen wie Kinder. Unterdrücktes Gelächter. Ungehemmtes Gelächter.
    Und wir gingen schlafen. Khalid in sein Bett. Und ich am Fußende seines Bettes.
    In der Dunkelheit bat mich Khalid, ihm eine Geschichte zu erzählen. Die Wahrheit zu sagen. Zu reden. Nur zu reden.
    Reden, um was zu sagen? Welche Wahrheit? Die Wahrheit über Sidi und mich? Die Wahrheit über mein Schicksal? Mit meiner Stimme sprechen? Mit den Stimmen meiner Herren?
    Â»Sprich, sprich, Hadda, ich werde alles glauben, was du sagen wirst. Sprich. Sprich mit mir.«
    Ich sprach mit einer anderen Stimme. Sie sagte Dinge, die nicht von mir kamen und die ich nicht verstand. Eine Vergangenheit, an die ich mich nicht erinnerte. Eine traurige und heldenhafte Geschichte. Khalid war hingerissen.
    Und ich? Ich fiel. Erneut fiel ich.
    Sie ergriffen Besitz von mir. Sie lieferten sich in mir ihre letzte Schlacht. Ich hatte nichts mehr zu tun. Ich wohnte meiner eigenen Zerstörung bei. Das Chaos in meinen Ohren war entsetzlich, unerträglich.
    Ich erhoffte mir eine letzte, sanfte Nacht in Khalids Zimmer, neben Khalid. Diese Hoffnung ließ man nicht für mich in Erfüllung gehen. Ich fiel. Sie gingen erneut zum Angriff über.
    Ich leistete keine Gegenwehr. Sie gewannen im Nu.
    Ich verlor. Von vornherein hatte ich verloren.
    Sie gaben mir den Weg an: den Fluss überqueren, den Bou Regreg.
    Â 
    Es ist Donnerstag.
    Der König wird vorbeifahren. Sein Festzug wird auf dieser Straße vorbeifahren. Die Leute warten seit heute morgen auf ihn. Es sind viele. Zu viele. Lieben sie alle wahrhaftig und aufrichtig den König?
    Der König wird vorbeifahren. Ich werde ihm vorangehen. Vor ihm in seinen Palast gehen. Mich schwarzen Brüdern und Schwestern anschließen, die seit Jahrhunderten und Aberjahrhunderten für ihn und die Alawiten-Dynastie arbeiten.
    Touarga. Das ist der Name. Der Mythos. Es gibt gefallene Frauen, die nach Azemmour gehen. Ich gehe ins Touarga-Viertel. Sklavin werden. Wieder Sklavin werden. Offiziell.
    Touarga. Das ist Mekka. Ein Viertel direkt neben dem Königspalast von Rabat. Von der gleichen Mauer abge
schirmt wie der Palast. Außerhalb der Welt. Von der Welt abgeschirmt.
    Touarga ist die Rettung.
    Ehrlich gesagt habe ich es mir nicht ausgesucht. Mir wurde gesagt, ich solle dorthin gehen. Auf die andere Seite. Dort werde ich erwartet. Es wird mein lebenslanges Gefängnis werden. Mein vorgezeichnetes Schicksal.
    Ich tue, was sie von mir verlangen. Ich werde nicht zu meiner Mutter zurückkehren.
    Ich werde zum König gehen. Ich werde um seinen Schutz bitten. Ich werde ihn erhalten. Ich habe ihn. Das wurde mir gesagt. Die Türen werden geöffnet sein. Das wurde mir versichert.
    Ich gehe zum König. Ich laufe. Ich laufe. Ich nähere mich ihm. Ich spreche mit mir selbst.
    Ich bin schwarz. Ich bin das schwarze Volk.
    Ich bin Hadda. Heute Abend werde ich es nicht mehr sein.
    Ich werde ein weiteres Mal den Vornamen wechseln müssen. Mich den Leuten, den Unbekannten auf andere Weise vorstellen.
    Ich durchquere das Tal. Ich schwimme im Fluss Bou Regreg. Ich verlasse die Stadt Salé.
    Ich verlasse die Welt. Vom Wind getrieben. Von meinen Herren.
    Sidi Hamid ist nicht mehr mein Sidi.
    Heute Abend wird der König mein Sidi sein. Mein neuer Sidi. Ich werde ihm die Hände küssen. Wie es sich gebührt. Und die Füße auch. Den rechten Fuß und dann den linken. Ich werde ihm meine Fähigkeiten anbieten. Er wird mich in Dienst nehmen.
    Heute Abend werde ich so schwarz sein, wie es von mir verlangt wurde.
    Ich werde so tun als ob.
    Â 
    Ich habe die Grenze hinter mir gelassen. Die Schranken. Ich bin in Rabat.
    Ich bin in einem neuen Gebiet.
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