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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
Autoren: Volker Ferkau
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1964
 
1
     
    Das Schicksal findet stets jene, um die es geht. Es hofft, dass es angenommen wird. Vielleicht trägt man es – vielleicht besiegt man es! Hauptsache, es klopft einen nicht weich.
    Verdammt, ein Bergmann hat einen breiten Rücken. Da klopft es sich schlecht, denn er ist Gewicht gewohnt. Und Schmerzen.
    Jeden Tag.
    Auch heute, als auf Zeche Kruse/Konstanzia die Schicht endet und der Korb die acht Männer mit drei Metern in der Sekunde 700 Meter hoch ans Tageslicht fährt.
    Eigentlich hatten die acht Männer heute bei Schacht 7 im Bunker arbeiten sollen, wo der Abbau gelagert wurde, doch es war schlimmer gekommen.
    Heute früh hatte Obersteiger Schotterbein mit der Autorität eines Mannes, dem man nie widerspricht, die Order gegeben, dass sie direkt neben dem stillgelegten Alten Mann abteufen mussten. Das hieß, sie wuchteten den ganzen Tag lang die senkrechten Hohlräume, die Schächte zum Erschließen der Lagerstätten in den Fels. Eine Arbeit, für die meisten Menschen genauso fremdartig, wie die Ausdrücke, mit denen man sie erklärt.
    Frank Wille hat neun Stunden Arbeit hinter sich und spürt jeden Muskel. Acht Stunden ohne Pause, derweil das Hangende, der Stein von oben, auf ihn rieselte, im Heulen der Turbinen und der Absauganlage, dem Blasen der Düsen, im ohrenbetäubenden Lärm. Er prügelte den Abraumhammer mit pressluftgetriebener Kraft gegen den Fels, bis er seinen Körper nicht mehr spürte. Das Schweißhemd is t am Körper festgebacken, Kohlestaub überall, in der Nase, in der Kehle, in jeder Ritze, klebrig, juckend.
    Obwohl er seit dreizehn Jahren, seit 1951 ‚auf’m Pütt’ ist, hat er sich immer noch nicht an Tage wie diesen gewöhnt.
    Frank seufzt müde. Sein Schädel brennt. Er fragt sich, ob das was damit zu tun hat, dass er vierzig ist. Der erste Lack ist ab, und trotz der Knochenarbeit zeigt sich ein Bauchansatz.
    Die Seilfahrt endet abrupt. Sie verlassen den Förderkorb, nehmen die Helme ab und kümmern sich um die Lampen, die zurück in die Lampenstube müssen, wo sie gepflegt werden.
    Frank müsste nicht unter Tage arbeiten. Er hat Müller gelernt, in Paderborn. Er weiß, wie man feines Mehl herstellt, weiß, was Leckermäuler wollen, kennt alle Kniffe, damit Brötchen schön aromatisch schmecken. Nach dem Krieg, dann nach der Fremdenlegion, gab es so viele Müller wie Weizenkörner in der Ähre. Jeder wollte für ein paar Groschen Säcke schleppen. Zu wenig Geld für eine schwangere Frau, die zu Hause saß und auf Geld wartete.
    Also nahm Frank das Angebot wahr, auf’m Pütt zu malochen, folgte dem Lockruf des Geldes. Nirgends sonst kann man mit ehrlicher Arbeit so viel Geld verdienen wie unter Tage, besonders wenn man Doppelschichten kloppt. Damit es in der Kasse klingelt. Dreißig Mark für eine Schicht. Unter tausend Mark im Monat sind es nie, damit kann man schon was anfangen.
    Dafür bringt Frank mehr Leistung als die anderen. Denn er will mehr, auch wenn es noch etwas dauert.
    Frank sieht wenig Sinn darin, auf seinen Traum, seinen Plan, sein Ziel zu verweisen, darauf, dass er alles tun will, um seine Familie aus diesem vierstöckigen Dreckshaus zu kriegen, vielleicht ein eigenes Haus zu bauen, auf jeden Fall weg von Plumpsklo und Kaninchenstall. Auch Oskar würde ihn nicht verstehen. Die meisten Kumpel haben diese Ziele nicht, sondern bringen ihren Lohn direkt am Freitag durch, wenn das Geld noch klebt, Beim Bärenstock oder In der Ampel , wo das Pils billig und die Musik aus der Box laut ist, Cliff Richard mit englischem Akzent von den roten Lippen singt, die man küssen soll.
    Dennoch schämt er sich.
    Es ist eine blöde Situation. Entweder er ist fleißig und man hasst ihn, weil er die Messlatte zu hoch setzt, oder er arbeitet beschaulich und wird es mitsamt seiner Familie zu nichts bringen und zu jenen gehören, die man einige Jahre später Loser nennen wird. Denn die Zeit des großen Geldverdienens unter Tage neigt sich dem Ende zu. Und die Gesundheit leidet, dass man dabei zugucken kann. Zwanzig, wenn man Glück hat, dreißig Jahre vor Kohle, und man ist ein Wrack. Wer will das schon?
    Es reicht, dass sie ihn einen Weiberrock schimpfen, weil er sich dem allwöchentlichen Besäufnis entzieht und lieber mit Lottchen, seiner Frau, ein Bier trinkt. Oder auch zwei oder drei, auf jeden Fall gemütlich mit Gedanken und Gesprächen und manchmal auch mit Imagination. Und wenn es vier oder fünf Flaschen sind und vielleicht einen oder zwei Klare dazu, auch mit Streit
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