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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen
Autoren: Bernard Werber
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Meter groß. Sie knieten sich nieder, um selbst ihre langen Finger hineinzustecken.
    Die merkwürdige Szene erhellte der orangegelbe Lichtschein dreier Kerzen in einem hohen Leuchter.
    Caroline Nogard umwickelte den Glasbehälter sorgfältig mit zahlreichen Schichten aus Schaumgummi und verstaute ihn in einem Koffer. Sie betrachtete die drei Riesen und lächelte ihnen zu. Dann verabschiedete sie sich schweigend.
    Pierre Salta stieß einen Seufzer der Erleichterung aus:
    »Diesmal schaffen wir’s, glaube ich!«

4. VERFOLGUNGSJAGD
    Falscher Alarm. Es war nur das Rascheln eines welken Blattes.
    Die drei Ameisen nehmen ihre Untersuchung wieder auf.
    Sie beschnüffeln nacheinander die mit flüssigen Informationen vollgestopften Behälter.
    Schließlich finden sie, was sie suchen.
    Zum Glück ist es ihnen nicht allzu schwer gefallen, es zu entdecken. Sie ergreifen den kostbaren Gegenstand, reichen ihn von Bein zu Bein weiter. Es ist ein mit Pheromonen gefülltes und mit einem Tropfen Kiefernharz hermetisch abgeschlossenes Ei. Sie entkapseln es. Ein erster Duft überschwemmt ihre elf Antennensegmente.
    Entschlüsseln verboten.
    Perfekt. Es gibt kein größeres Qualitätsetikett. Sie legen das Ei hin und stecken begierig die Antennenspitzen hinein.
    Der Dufttext steigt die verschlungenen Wege ihres Gehirns hinauf.
     
    Entschlüsseln verboten.
    Gedächtnispheromon Nr. 81
    Thema: Autobiographie
     
    Ich heiße Chli-pu-ni.
    Ich bin die Tochter von Belo-kiu-kiuni.
    Ich bin die 333. Königin der Ni-Dynastie und die einzige Legerin der Stadt Bel-o-kan.
    Ich habe nicht immer so geheißen. Ehe ich Königin wurde, war ich die 55. Frühlingsprinzessin. Denn das ist meine Kaste und meine Legenummer.
    In meiner Jugend glaubte ich, daß die Stadt Bel-o-kan die Grenze des Universums sei. Ich glaubte, daß wir, die Ameisen, die einzigen zivilisierten Wesen unseres Planeten seien. Ich glaubte, daß die Termiten, die Bienen und die Wespen wilde Völkerscharen seien, die aus bloßem Obskurantismus unsere Bräuche ablehnten.
    Ich glaubte, daß die anderen Ameisenarten degeneriert und die Zwergameisen zu klein seien, um uns in Unruhe zu versetzen.
    Damals lebte ich ununterbrochen eingeschlossen in der Kammer der jungfräulichen Prinzessin, im Inneren der Verbotenen Stadt. Mein einziger Ehrgeiz bestand darin, eines Tages meiner Mutter gleichzuwerden und wie sie eine politische Föderation zu errichten, die den Unbilden der Zeit und des Wetters widerstehen würde.
    Bis zu dem Tag, an dem ein verletzter junger Prinz, Nr. 327, in meine Kammer gekommen ist und mir eine merkwürdige Geschichte erzählt hat. Er behauptete, eine Jagdexpedition sei von einer neueren Waffe mit verheerender Wirkung gänzlich aufgerieben worden.
    Damals verdächtigten wir die Zwergameisen, unsere Rivalinnen, und schlugen im vergangenen Jahr die große Schlacht am Klatschmohnhügel. Sie hat uns mehrere Millionen Soldatinnen gekostet, aber wir haben gesiegt. Und dieser Sieg hat uns den Beweis für unseren Irrtum geliefert. Die Zwerginnen besaßen keine geheime Langstreckenwaffe.
    Danach dachten wir, die Schuldigen seien die Termiten, unsere Erbfeindinnen. Wieder ein Irrtum. Die große Termitenstadt im Osten ist zu einer Geisterstadt geworden. Ein geheimnisvolles Chlorgas hat alle Einwohner vergiftet.
    Daraufhin haben wir in unserer eigenen Stadt nachgeforscht und sind dabei leider auf eine Geheimarmee gestoßen, die glaubte, die Gemeinschaft zu schützen, indem sie ihr allzu beängstigende Informationen vorenthielt. Diese Mörderinnen gaben einen bestimmten Felsengeruch ab und behaupteten, die Rolle der weißen Blutkörperchen zu erfüllen. Sie stellten die Selbstzensur unserer Gesellschaft dar. Uns wurde bewußt, daß unser Gemeinschaftsorganismus von einem Immunsystem mit allen Mitteln in Unwissenheit gehalten wurde.
    Doch nach der außergewöhnlichen Odyssee der geschlechtslosen Kriegerin Nr. 103
    683 haben wir es schließlich
    durchschaut.
    Am östlichen Ende der Welt gibt es …
    Eine der drei Ameisen unterbricht die Lektüre. Sie hat das Gefühl, daß jemand da ist. Die Rebellinnen verstecken sich, lauern. Nichts rührt sich. Eine Antenne lugt schüchtern aus ihrem Versteck hervor, bald gefolgt von fünf weiteren.
    Die sechs Fühler werden zu Radargeräten und vibrieren mit 18 000 Bewegungen pro Sekunde. Alles, was in der Umgebung mit einem Duft behaftet ist, wird sofort identifiziert.
    Abermals falscher Alarm. Es ist niemand in der Nähe. Sie nehmen die
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