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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen
Autoren: Bernard Werber
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herangekommen ist, beschleunigt er noch ein wenig, um die Extase rascher genießen zu können.
    Er ist ganz nah an der Flamme. Seine Flügelspitzen stehen kurz davor, Feuer zu fangen. Er schert sich nicht darum, er will sich hineinstürzen, diese warme Kraft genießen. In der Sonne schmelzen. Wird er darin verglühen?
     
     

8. MÉLIÈS LÖST DAS RÄTSEL DES TODES DER SALTAS
     
    »Nein?«
    Er zog einen Kaugummi aus der Tasche und steckte ihn in den Mund.
    »Nein, nein, nein. Lassen Sie keine Journalisten herein. Ich will meine Leichen in aller Ruhe untersuchen, und danach werden wir ja sehen. Und löschen Sie mir die Kerzen auf diesem Leuchter aus! Warum sind sie überhaupt angesteckt worden? Ach, es hat in dem Gebäude einen Stromausfall gegeben? Aber jetzt ist doch wieder Strom da, oder? Also bitte riskieren wir keinen Brand.«
    Jemand blies die Kerzen aus. Ein Falter, dessen Flügelspitzen bereits glommen, entging gerade noch der Einäscherung.
    Der Kommissar kaute geräuschvoll seinen Kaugummi und inspizierte dabei die Wohnung in der Rue de la Faisanderie.
    Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hatte sich im Vergleich zum vorigen Jahrhundert nur wenig geändert. Die Techniken der Kriminalisten hatten sich indes leicht entwickelt. Die Leichen wurden jetzt mit Formaldehyd und durchsichtigem Wachs überzogen, damit sie genau in der Stellung blieben, in der sie sich im Augenblick des Hinscheidens befunden hatten. Die Polizei konnte so in aller Seelenruhe den Schauplatz des Verbrechens untersuchen. Diese Methode war viel praktischer als die veralteten Kreideumrisse.
    Diese Vorgehensweise konnte einem durchaus an die Nerven gehen, aber die Untersucher hatten sich schließlich an den Anblick ihrer Opfer gewöhnt, an die offenen Augen, die vollkommen mit durchsichtigem Wachs bedeckten Körper, wie erstarrt im Augenblick ihres Todes.
    »Wer war als erster hier?«
    »Inspektor Cahuzacq.«
    »Emile Cahuzacq? Wo ist er? Ach, unten … Sehr schön, sagen Sie ihm, er soll zu mir kommen.« Ein junger Polizist sagte zögernd: »Ah, Kommissar … Da ist eine Journalistin vom Sonntagsecho, die behauptet …«
    »Die was behauptet? Nein! Im Augenblick keine Journalisten. Holen Sie mir Emile.«
    Méliès ging im ganzen Wohnzimmer auf und ab, ehe er sich über Sébastien Salta beugte. Sein Gesicht berührte fast das verzerrte Antlitz mit den verdrehten Augen, den aufgerissenen Lidern, den aufgeblähten Nasenflügeln, dem weitaufgesperrten Mund, der herausgestreckten Zunge. Er erkannte sogar Zahnprothesen und die Spuren von dessen letzter Mahlzeit. Der Mann mußte Erdnüsse und Rosinen gegessen haben.
    Dann wandte Méliès sich den Leichnamen der beiden anderen Brüder zu. Pierres Augen waren aufgerissen, auch der Mund weit geöffnet. Das Wachs hatte die Gänsehaut konserviert, die seine Haare zu Berge stehen ließ. Antoines Gesicht schließlich war durch eine scheußliche Grimasse des Entsetzens entstellt.
    Der Kommissar zog eine Leuchtlupe aus seiner Tasche und besah sich die Epidermis von Sébastien Salta. Die Haare waren steif wie Lanzen. Auch er war mit einer Gänsehaut erstarrt.
    Vor Méliès zeichnete sich eine vertraute Silhouette ab.
    Inspektor Cahuzacq. Vierzig Jahre gute und treue Dienste bei der Kriminalpolizei von Fontainebleau. Graue Schläfen, spitzer Schnurrbart, beruhigender Bauch. Cahuzacq war ein stiller Mensch, der sich in der Gesellschaft seinen Platz zurecht-gezimmert hatte. Sein einziger Wunsch bestand darin, friedlich und ohne zuviel Aufhebens in Pension zu gehen.
    »Also, du warst als erster hier, Emile?«
    »Stimmt genau.«
    »Und was hast du gesehen?«
    »Na, das gleiche wie du. Ich hab sofort verlangt, daß die Leichen zugewachst werden.«
    »Gute Idee. Was hältst du davon?« »Keine Verletzungen, keine Abdrücke, keine Tatwaffe, keine Möglichkeit, herein-oder herauszukommen … Zweifellos eine verzwickte Angelegenheit für dich!«
    »Danke.«
    Kommissar Jacques Méliès war jung, knapp zweiunddreißig, aber er hatte bereits einen Ruf als gute Spürnase. Er pfiff auf die Routine und verstand es, bei den kompliziertesten Fällen eine originelle Lösung zu finden.
    Nach dem Abschluß eines soliden, naturwissenschaftlichen Studiums hatte Jacques Méliès auf eine brillante Forscher-karriere verzichtet, um sich seiner einzigen Leidenschaft zu widmen: dem Verbrechen. Anfangs waren es Bücher, die ihn auf die Reise ins Land der Fragezeichen einluden. Er hatte sich mit Krimis vollgestopft. Von Richter Ti über
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