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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen
Autoren: Bernard Werber
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ENZYKLOPÄDIE
     
    Schon wieder Sie?
    Sie haben also den zweiten Band meiner Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens entdeckt.
    Der erste lag gut sichtbar auf dem Pult des unterirdischen Tempels, dieser hier war schwieriger aufzuspüren, stimmt’s?
    Bravo.
    Wer sind Sie genau? Mein Neffe Jonathan? Meine Tochter?
    Nein, weder der eine noch die andere.
    Guten Tag, unbekannter Leser!
    Ich würde Sie gern besser kennen. Nennen Sie vor den Seiten dieses Buches Ihren Namen, Alter, Geschlecht, Beruf, Staatsangehörigkeit.
    Wofür interessieren Sie sich im Leben?
    Was sind Ihre Schwächen?
    Ach, gleichviel. Ich weiß, wer Sie sind.
    Ich spüre Ihre Hände, die meine Seiten streicheln. Das ist im übrigen recht angenehm. Auf Ihren Fingerspitzen, in den Windungen Ihrer Fingerabdrücke errate ich ihre geheimsten Züge.
    Alles ist bis in Ihre winzigsten Teile eingeschrieben. Ich nehme dort sogar die Gene Ihrer Vorfahren wahr. Wenn man bedenkt, daß diese Tausende von Menschen nicht zu früh sterben durften. Daß sie einander verführen, sich paaren mußten, bis es zu Ihrer Geburt kam!
    Heute habe ich den Eindruck, Sie vor meinen Augen zu haben. Nein, lächeln Sie nicht. Bleiben sie ganz natürlich.
    Lassen Sie mich tiefer in Ihnen lesen. Sie sind viel mehr, als Sie sich vorstellen.
    Sie sind nicht bloß ein Name und ein Vorname mit einer Sozialgeschichte.
    Sie sind 71 % klares Wasser, 18 % Kohlenstoff, 4 %
    Stickstoff, 2 % Kalzium, 2 % Phosphor, 1 % Kalium, 0,5 %
    Schwefel, 0,5 % Natrium, 0,4 % Chlor. Plus einem guten Suppenlöffel voll verschiedener Spurenelemente: Magnesium, Zink, Mangan, Kupfer, Jod, Nickel, Brom, Fluor, Silizium.
    Plus einer Prise Kobalt, Aluminium, Molybdän, Vanadium, Blei, Zinn, Titan, Bor.
    Das ist das Rezept Ihres Daseins.
    Alle diese Materialien stammen aus der Verbrennung der Sterne, und man kann sie andernorts als in Ihrem Körper finden. Ihr Wasser ähnelt dem irgendeines Ozeans. Ihr Phosphor macht Sie zum Genossen der Streichhölzer. Ihr Chlor ist identisch mit dem, das man zum Desinfizieren von Schwimmbädern benutzt.
    Aber Sie sind nicht bloß das.
    Sie sind eine chemische Kathedrale, ein erstaunlicher Baukasten mit Mengenverhältnissen, Gleichgewichten, Mechanismen von kaum vorstellbarer Komplexität. Denn Ihre Moleküle setzen sich ihrerseits aus Atomen, Teilchen, Quarks, Vakuum zusammen, das Ganze verknüpft durch elektromagnetische und elektronische Kräfte sowie solche der Gravitation, deren Feinheit Ihr Vorstellungsvermögen übersteigt.
    Wie dem auch sei! Wenn Sie es geschafft haben, diesen zweiten Band zu finden, heißt das, daß Sie durchtrieben sind und schon vieles von meiner Welt wissen. Was haben Sie mit den Kenntnissen gemacht, die Ihnen der erste Band geliefert hat? Eine Revolution? Eine Evolution? Gar nichts, vermute ich.
    Also machen Sie es sich jetzt bequem, um besser lesen zu können. Halten Sie den Rücken gerade. Atmen Sie ruhig.
    Entspannen Sie Ihren Mund.
    Hören Sie mir zu!
    Nichts, was Sie in Raum und Zeit umgibt, ist nutzlos. Auch Sie selbst sind nicht nutzlos. Ihr flüchtiges Leben hat einen Sinn. Es führt nicht in eine Sackgasse. Alles hat einen Sinn.
    Während Sie mich, der ich hier spreche, lesen, verspeisen mich Maden. Was rede ich? Ich diene jungen vielversprechenden Kerbelschößlingen als Dünger. Die Menschen meiner Generation haben nicht begriffen, worauf ich hinauswollte.
    Für mich ist es zu spät. Das einzige, was ich hinterlassen kann, ist eine winzige Spur … dieses Buch.
    Für mich ist es zu spät, aber für Sie nicht. Haben Sie es sich bequem gemacht? Entspannen Sie Ihre Muskeln. Denken Sie an nichts anderes mehr als an das Universum, in dem Sie nur ein winziges Staubkorn sind.
    Stellen Sie sich die Zeit gerafft vor. Flutsch, sie werden geboren, aus Ihrer Mutter gestoßen wie ein Kirschkern. Zack, zack, sie stopfen sich mit Tausenden bunter Gerichte voll und verwandeln dabei einige Tonnen Pflanzen und Tiere in Exkremente. Peng, Sie sind tot.
    Was haben Sie aus Ihrem Leben gemacht?
    Bestimmt nicht genug.
    Handeln Sie! Tun sie etwas, etwas Geringes vielleicht, aber frohen Mutes! Machen Sie etwas aus Ihrem Leben, ehe Sie sterben. Sie sind nicht zu nichts geboren. Entdecken Sie, wozu Sie geboren sind. Was ist Ihre winzige Mission? Sie sind nicht zufällig geboren. Geben Sie acht.
    Edmond Wells Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens, Bd. 2

7. VERWANDLUNGEN
    Sie hat es nicht gern, wenn man ihr sagt, was sie tun soll.
    Die dicke,
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